Die andere Hälfte der Hoffnung von Mechthild Borrmann

Die andere Hälfte der Hoffnung von Mechthild Borrmann

27.04.2016

Die andere Hälfte der Hoffnung war mein erster, aber nicht letzter Roman der Autorin Mechtild Borrmann. Sie hat mich nicht nur mit ihrer feinen Sprache und gut recherchierten Geschichte beeindruckt, sondern vor allem damit, dass sie mich tief drinnen sehr berührt hat.

 Als auf dem Hof von Matthias Lessmann das Mädchen auftaucht, weiß er nicht, was er tun soll. Gesellschaft hatte er seit dem Tod seiner Frau nicht mehr. Die Männer, die nach ihr fragen, sehen bedrohlich aus. Es ist eine Kurzschlussreaktion, die ihn dazu veranlasst, das frierende Mädchen, das aussieht, als habe es schon länger nichts mehr zu essen bekommen, in seinem Wohnhaus zu verstecken. Er ahnt, dass sie in Not ist, dass die Männer ihr nichts Gutes wollen. Was er nicht ahnt – sie ist Opfer eines Menschenhändlerringes, der junge Osteuropäerinnen zur Prostitution zwingt.

Zeitgleich sehnt sich in der Ukraine Walentyna nach der Rückkehr ihrer Tochter, die nach Deutschland gegangen ist, um dort Geld zu verdienen. Seitdem hat Walentyna nichts mehr von ihr gehört. Die Wartezeit ist für sie unerträglich, denn sie merkt, dass etwas in ihrem Körper wächst, dass sie von innen heraus zerfressen wird. Nachwirkungen der großen Katastrophe. Damals, als in Tschernobyl der Reaktor explodierte und sie nur wenige Kilometer entfernt lebte.

Mechtild Borrmann war mir bisher namentlich ein Begriff, eins ihrer Bücher hatte ich aber noch nicht gelesen. Auf Empfehlung einer Bloggerkollegin, die mir erklärte, dass Borrmann die Autorin sei, die sie aus einem Lesetief holen könne, griff ich zu „Die andere Hälfte der Hoffnung“, dessen Inhalt mich schon nach Lesen des Klappentextes angesprochen hat. Trotz der Empfehlung war ich überrascht, welchen Sog der Roman, der als Kriminalliteratur deklariert wird, auf mich ausüben konnte. Es fiel mir schwer ihn aus der Hand zu legen, weil ich so gefesselt war von der Schreibe der Autorin und der Geschichte und doch musste ich immer wieder pausieren, denn der Inhalt ist von bedrückender Schwere.

Mit feiner Feder zeichnet sie Lessmanns Gefühle und Walentynas Geschichte, die schon vor ihrer Geburt dramatisch verlief. Ihre Mutter war Opfer des zweiten Weltkriegs, verschleppt von Soldaten, nach ihrer Heimkehr verachtet, als eine, die mit dem Feind kooperiert. Von dem, was sie damals erlebte, spricht sie nicht. Doch der Ausdruck ihres Gesichtes, wenn das Thema auf den Tisch kommt, spricht Bände. Umso dramatischer, dass sich solche Erlebnisse Generationen übergreifend wiederholen. In anderer Form, aber mindestens genauso schrecklich, wenn nicht noch schlimmer.

Jede Figur des Romans wurde mit Präzision herausgearbeitet. Wurde mit psychischen Strukturen versehen, die handeln und denken der Charaktere näher bringen und nachvollziehbar machen, und auch dafür sorgen, dass diese tief unter die Haut gehen. Nicht nur einmal hatte ich einen dicken Kloß im Hals, musste schluckend das Buch zur Seite legen, tief durchatmen, um dann weiterzulesen, damit ich endlich mehr erfahre. Mehr über die verschleppten Mädchen, mit denen ich bis zuletzt gebangt habe, und mehr über Walentyna, die trotz all der Hoffnungslosigkeit und Dramatik in ihrem Leben die Hoffnung nicht aufgibt.

Es ist nicht nur die faszinierend eindringliche Schreibe der Autorin, die dafür sorgt, dass der Roman so bedrückend ist, sondern auch der Bezug zur Realität. Menschenhandel wird nach wie vor praktiziert, seit der Flüchtlingsschwemme vielleicht sogar noch mehr. Außerdem das Reaktorunglück, das nachhaltig Opfer fordert und eigentlich schon viel zu sehr in Vergessenheit geraten ist.

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kartoniertes Buch, 313 S.
Sprache: Deutsch
Droemer Taschenbuch
ISBN: 9783426304839

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