hr-iNFO Büchercheck: Die juristische Unschärfe einer Ehe von Olga Grjasnowa

hr-iNFO Büchercheck: Die juristische Unschärfe einer Ehe von Olga Grjasnowa

31.10.2014

Heute geht es um den neuen Roman eines Shootingstars: Mit ihrem Debüt „Der Russe ist einer, der Birken liebt" wurde die junge Olga Grjasnowa 2012 quasi über Nacht im deutschen Literaturbetrieb bekannt. Jetzt gibt es ihren neuen Roman. hr-iNFO Büchercheckerin Tanja Küchle hat ihn gelesen.

Worum geht es?
Es geht um die Liebe: zu zweit, zu dritt, und zu sich selbst. Die drei Hauptfiguren sind Mitte bis Ende Zwanzig – Migranten, Versprengte, auf der Suche nach sich selbst. Sie wollen unabhängig sein und geliebt werden. In diesem Widerspruch leben Leyla und ihr Ehemann Altay. Ihre Ehe ist allerdings nur ein Alibi: Altay ist in Wirklichkeit schwul, und Leyla hat eine deutliche Vorliebe für Frauen. Aus dieser Scheinehe ergibt sich die „juristische Unschärfe ihrer Ehe“. Der Titel des Romans spielt aber auch noch mit etwas anderem: Denn, trotz allem, hat sich mit den Jahren zwischen den Beiden eine echte Zuneigung aufgebaut. Eines Tages platzt eine Frau in die sehr offene, aber auch sehr fragile Beziehung.
Wie ist es geschrieben?
Der Roman beginnt am Ende der Geschichte – am „Nullpunkt“. Leyla wurde wegen illegaler Autorennen verhaftet – in Aserbaidschan. Szenisch, in Rückblicken, erzählt Grjasnowa dann im ersten Teil des Romans vom Leben Leylas, Altays und Jonouns in Berlin, Moskau und den USA. Wir lernen ihre Geschichten kennen und verstehen, was sie antreibt. Olga Grjasnowa hat ein feines Gespür für Ironie, Schönheit und Widersprüche.

Leyla formte Kügelchen aus dem weichen Inneren des Baguettes, rollte sie über den Tisch und schnippte sie aus dem Fenster. Leyla mochte Jonoun, sie mochte ihren Duft, die Wärme ihrer Haut und ihre Kleider, die vom absoluten Leichtsinn zeugten. Wenn Jonoun nicht in ihrer Nähe war, vermisste Leyla sie, doch wenn sie abends nach Hause kam, war der Zauber verflogen. […] Es war Altay, der sie daran hinderte, Jonoun zu verlassen, denn er behandelte sie wie ein ungeliebtes Haustier. Und das betrachtete Leyla als Affront gegen sich selbst.

Wie gefällt es?
Sehr gut. Obwohl die Fragen, die Grjasnowa im Roman stellt – nach Gender, nach offener Beziehung und sexueller Orientierung – keine neuen Antworten bringen. Elektrisiert hat mich dagegen, wie einfühlsam und zugleich radikal Olga Grjasnowa zeigt, wie schmal dieser Grat ist zwischen persönlicher Freiheit und intimer Geborgenheit. Umso mehr, wenn einem die ganze Welt offen steht. Oder negativ formuliert: wenn man entwurzelt ist. Wie gibt man seinem Leben einen Sinn? Wie findet man seinen Ort, und seine Liebe? Mich hat das Buch melancholisch gestimmt. Und ich würde es sofort wieder lesen!

 

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gebundenes Buch, 272 S.
Sprache: Deutsch
Carl Hanser Verlag
ISBN: 9783446245983