hr-iNFO Büchercheck: Alles ist jetzt von Julia Wolf

hr-iNFO Büchercheck: Alles ist jetzt von Julia Wolf

26.03.2015

Julia Wolf ist Mitte 30, stammt aus Groß-Gerau und lebt jetzt in Berlin. Ein Ort in der Provinz, Frankfurt, Berlin und New York, das sind die Schauplätze ihres Debütromans „Alles ist jetzt“. hr-iNFO Bücherchecker Frank Statzner hat ihn gelesen.

Worum geht es?
Ingrid ist eine junge Frau auf der Schattenseite des Lebens. Ihr Vater hat die Familie und das Haus auf dem platten Land früh verlassen, ihre Mutter ist Alkoholikerin. Ihr Bruder vertickt Drogen. Sein Freund macht sich über Ingrid her, als sie noch ein Mädchen ist. Und trotzdem verliebt sie sich in den Mann, wird abhängig von ihm. Eine verwahrloste junge Frau, die kein Selbstbewusstsein entwickelt und sich im Chaos einrichtet. Sie haut ab nach Berlin, eine Flucht in Tristesse und Enttäuschung, kein Ziel. Dann landet Ingrid in Frankfurt, arbeitet am Tresen einer Sexbar, hat hin und wieder lesbischen Sex. Sie leidet weiter an Mutter und Bruder, zerstört sich selbst. Bis es irgendwann knallt. Ingrid wird von ihren Kolleginnen und Kollegen in der Sexbar auf die Bühne genötigt und erniedrigt. Jetzt kann sie nichts mehr halten. Sie flieht noch einmal, diesmal nach New York. Dort endet die Erzählung mit einem Bild. Ingrid am Hafen, den Schirm in die Luft gestreckt wie die Freiheitsstatue ihre Fackel. Ist sie jetzt frei von ihrer Vergangenheit?

 

Wie ist es geschrieben?
Die Geschichte von Ingrid zielt unmittelbar auf das Empfinden. Das hat etwas mit der Sprache von Julia Wolf zu tun: Kurze Sätze, manchmal nur Satzfetzen, kraftvoll und temporeich. Präzise Beschreibungen, fast schon protokollierend. Das ist nüchternes, auch lakonisches Erzählen. Schonungslos direkt. Nerven werden so frei gelegt. Schmerz wird spürbar. Zum Beispiel als Ingrid an Weihnachten mit ihrem Bruder ins Elternhaus zurückkehrt, um die Mutter besuchen.
"Kaum betritt Ingrid das Haus, setzt auch das Heulen ein. Es zieht durch die Räume, kreist um Ingrids Kopf, schlägt mit Fäusten gegen Türe und Wände, was tust du mir an. Etwas in Ingrid wird klein, wie ein Kind, das auf seinem Bett sitzt und lauscht. Das nicht an Gespenster glaubt und sich trotzdem fürchtet. Mama ist kein Gespenst, Mama ist einfach nur traurig. Ingrid wird wütend. Sie hatte alles vergessen, jetzt ist es da. Nicht als Erinnerung, sondern als jetzt."

 

Wie gefällt es?
160 Seiten hat das Buch. Schon nach der ersten Seite, hat es mich gefangen. Es beginnt mit einem Traumbild, einem verstörenden Erwachen. Und schon wollte ich mehr wissen über diese Ingrid, ihre Wahrnehmungen, ihre Erinnerungen und ihre Gedankenströme erkunden. Dieses Buch fesselt, es macht nachdenklich, es beeindruckt. Ich finde: ein echtes Leseerlebnis. Nur allzu zart sollte man nicht besaitet sein. Man muss „Alles ist jetzt“ auch aushalten können.

 

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gebundenes Buch, 160 S.
Sprache: Deutsch
FVA-Frankfurter Verlagsanstalt GmbH
ISBN: 9783627002114

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