hr-iNFO Büchercheck: Baba Dunjas letzte Liebe

hr-iNFO Büchercheck: Baba Dunjas letzte Liebe

17.09.2015

Die russischstämmige Schriftstellerin Alina Bronsky hat bisher vor allem mit Jugendromanen Erfolg gehabt. Ihr neues Buch aber handelt von einer alten Frau, das nämlich heißt Baba auf Russisch. Ein schlankes kleines Buch: gerade mal 160 Seiten. hr-iNFO Büchercheckerin Tanja Küchle hat den Roman gelesen.

Worum geht es?
Tschernobyl 1986. Das Reaktorunglück lässt die Welt den Atem anhalten. Jahre später kehren einige alte Frauen in die völlig verlassene ehemalige Todeszone um Tschernobyl zurück. Von ihnen hat sich Alina Bronsky für ihren Roman inspirieren lassen. Sie hat eine Truppe von sehr eigensinnigen, skurrilen Figuren entwickelt. Und Baba Dunja ist so etwas wie ihre Bürgermeisterin. Die Zeit ist stehen geblieben in ihrem Dorf, kein Telefon, kein Fernsehen. Die Rückkehrer versorgen sich selbst mit Wasser aus dem Brunnen und Gemüse aus dem eigenen Garten. Baba Dunjas letzte Liebe, das ist das freie, unabhängige Leben, in dem es in erster Linie schlicht um’s Überleben geht. Es ist eine doppelbödige Idylle. Nach dem Reaktorunglück wirkt hier immer noch die unsichtbare Strahlung wie ein postmoderner Fluch, der nicht mehr rückgängig zu machen ist. Doch eines Tages taucht in Tschernowo ein junger Mann auf mit seiner kleinen Tochter.

Wie ist es geschrieben?
Wir folgen Baba Dunjas Perspektive in der Ich-Form und im Präsens. Sie ist die Hauptfigur: stark, resolut und gleichzeitig gebrochen. Sie hat viel erlebt. Sie trägt Kopftuch, hat die sowjetische Arbeitsdisziplin verinnerlicht, ist aber zum Glück auch mit trockenem Humor gesegnet.

„Petrow ist durchkrebst von Kopf bis Fuß. Seine Haut ist durchsichtig, dass ich mich frage, ob er nicht vielleicht inzwischen doch ein Geist ist. Du musst was essen, sage ich. Sonst hast Du keine Kraft mehr. Er schnuppert am Teller: Der alte Hahn deiner fetten Freundin? Ich finde, dass er den Mund ganz schön voll nimmt, dafür, dass er so durchsichtig ist.“

Wie gefällt es?
Am stärksten erfasst hat mich, wie viel Zärtlichkeit in der sprachlichen Lakonie der Ich-Erzählerin durchscheint. Egal, wie makaber es wird. Mir gefällt auch, wie zauberhaft und sanft die Geschichte bei aller Härte des Inhalts wirkt. Alina Bronsky entwirft in „Baba Dunjas letzte Liebe“ ein glaubwürdiges Porträt einer „Welt von gestern“ im Heute. Doch ihr Endzeit-Märchen bleibt pittoresk. Was es wirklich bedeutet, als eine der wenigen Rückkehrer in einer atomar verseuchten Todeszone zu leben, das wird nicht deutlich.

hr-iNFO

16,00 € inkl. MwSt.
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gebundenes Buch, 160 S.
Sprache: Deutsch
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co KG
ISBN: 9783462048025