hr-iNFO Büchercheck: Das Ministerium des äußersten Glücks von Arundhati Roy

hr-iNFO Büchercheck: Das Ministerium des äußersten Glücks von Arundhati Roy

31.08.2017

Mit Ihrem Debüt-Roman „Der Gott der kleinen Dinge“ landete Arundhati Roy 1997 einen weltweiten Bestseller. Danach engagierte sich die Schriftstellerin vor allem politisch und ökologisch. Jetzt, 20 Jahre später ist, lang erwartet, ihr zweiter Roman erschienen. „Das Ministerium des äußerten Glücks“ heißt er. hr-iNFO Bücherchecker Alf Mentzer hat den Roman gelesen.

Worum geht es?
Arundhati Roy erzählt die Geschichte des modernen Indiens als Geschichte einer vollkommen zerrissenen Gesellschaft, und er erzählt diese Geschichte von den Rändern dieser Gesellschaft her. Da ist einmal die transsexuelle Anjum, die als Junge geboren, sich mit 16 geschlechtsumwandeln lässt, zu Dehlis berühmtester Hijra wird, bevor sie mit 46 auf einen Friedhof zieht und dort eine immer größere und immer lebendigere Kommune um sich versammelt. Und dann ist da Tilo, eine Architektin, die durch die Liebe zu einem muslimischen Widerstandskämpfer in den immer wieder aufbrechenden Kaschmirkonflikt hineingezogen wird. Beide Frauen sind Grenzgängerinnen, die sich schmerzensreich, aber letztendlich doch souverän über all das hinwegsetzen, was Indien heute entzweit.

Wie ist es geschrieben?
Arundhati Roy erzählt von grauenvollen Ereignissen, von Folter, von Pogromen, von Umweltkatastrophen, aber sie erzählt das in einem merkwürdig abgeklärten, teilweise sarkastischen Stil: „Der Tod war überall, der Tod war alles. Karriere. Begehren. Traum. Poesie. Liebe. Jugend. Sterben wurde zu einer neuen Lebensweise. Friedhöfe wurden in Parks und auf Wiesen angelegt, neben Flüssen und Bächen, auf Feldern und in bewaldeten Tälern. Grabsteine wuchsen aus der Erde, wie kleinen Kindern Zähne wachsen.“

Hier spricht die politische Aktivistin, hier spricht aber auch die Beobachterin der indischen Geschichte, die ein Stück weit resigniert hat, angesichts der endlosen Konflikte und der absurden Unfähigkeit einer korrupten politischen Klasse. Der Politik traut Arundhati Roy offenbar nichts zu; auf große Lösungen hofft sie nicht. Hoffnung gibt es nur auf der Ebene der einzelnen Menschen, die sich irgendwie durchschlagen müssen und von deren verzweifeltem Mut und bitterem Humor sie erzählt. Mitunter zerfasert dabei die Handlung, zersplittert das Geschehen, wird redundant, aber das ist offenbar auch ein bewusst gewähltes Prinzip dieses Romans.

Wie gefällt es?
Es ist nicht alles gelungen in diesem mehr als 500-seitigen Roman. Der Handlungsverlauf ist nicht immer zwingend; mitunter bewegt er sich fast gar nicht von der Stelle. Figuren, die man liebgewonnen hat, verschwinden und tauchen erst hunderte Seiten später wieder auf, ohne dass wirklich klar ist, warum. Dieser Roman ist teilweise genauso zerrrissen, wie die Gesellschaft, die er beschreibt – und trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen hat er mich gepackt. Arundhati Roy macht sich, und macht uns keine Illusionen. Sie erzählt die Geschichte Indiens mit all den Grausamkeiten und Absurditäten, die dazu gehören, aber auch mit einer gehörigen Portion Sympathie für die Menschen, die darunter zu leiden haben. Es ist diese Spannung, die den Roman äußerst lesenswert macht.

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gebundenes Buch, 560 S.
Sprache: Deutsch
Fischer, S. Verlag GmbH
ISBN: 9783100025340