hr-iNFO Büchercheck: Die Sprache der Vögel von Norbert Scheurer

hr-iNFO Büchercheck: Die Sprache der Vögel von Norbert Scheurer

09.04.2015

Norbert Scheuer hat kein Fachbuch über Vögel geschrieben, sondern einen Roman. Und offenbar so gut, dass er für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war, den er knapp verfehlte.
hr-iNFO Bücherchecker Frank Statzner hat den Roman gelesen.

Worum geht es?
Der Ornithologe Paul Arimont will weg aus seiner Eifelheimat. Seine Familie ist zerbrochen, der Vater hat sich umgebracht, seinen Freund hat er bei einem Autounfall so schwer verletzt, dass er schwer behindert ist. Paul Arimont geht mit der Bundeswehr nach Afghanistan, als Sanitätssoldat. Mit im Gepäck hat er das Fernglas seines Vaters. Paul nutzt jede Gelegenheit, um Vögel zu beobachten. Wie besessen verlässt er sogar unerlaubt sein Camp, riskiert sein Leben, um die Tiere an einem nahen See zu beobachten. Er aquarelliert sie mit Kaffeesatz, klebt ihre Federn in ein Buch. Eine heile Welt, flögen nachts nicht die Raketen der Taliban über das Lager, würden die Kameraden nicht angeschossen oder sogar durch Minen zerfetzt. Die Vogelwelt ist für Paul Arimont Bezauberung, Schönheit und Freiheit, eine Gegenwelt zur Realität des Soldaten aus Lager, Angst und Tod.

Wie ist es geschrieben?
Wie schon in seinen Eifelromanen tritt Norbert Scheuer auch diesmal als lakonischer Protokollant dessen auf, was seine Helden sehen, erleben, fühlen. Alles passiert einfach und Paul Arimont beschreibt es in einem Tagebuch im leisen Ton. Egal ob es um das Gefieder der Hirtenstare geht oder um die Verletzungen der Kameraden. Fakten und Gefühle stehen so jeweils für sich. Die Wirkung passiert im Kopf der Leser.
„Die Girlitze hüpfen jetzt aufgeregt auf den niedrigen Büschen im felsigen Gelände. Einige der Männchen balzen, tragen enthusiastisch ihre Lieder vor, lassen dabei ihre Flügel hängen und richten das Kopfgefieder auf, wobei ihre rote Stirn besonders auffällt. Ich glaube nicht, dass Vögel allein zum Zweck der Fortpflanzung singen. Irgendetwas existiert im Leben, das mehr ist als wir selbst und für das es keine Sprache gibt. Vielleicht liegt darin der Grund, dass Vögel singen.“

Wie gefällt es?
Norbert Scheuer lässt in seinem Roman die Schönheit gegen das Grauen antreten. Er lässt seinen Helden erleben, wie mitten in der Gefahrenzone aus der Naturbeobachtung eine nahezu hypnotische Ruhe oder sogar Erkenntnis entstehen kann. Aber kann die Schönheit die empfindsame Seele tatsächlich vor ihren Traumata retten? Die Antwort gibt das Buch. Das ist ein gewagter Ansatz, mindestens aber eine bemerkenswerte Variante von Kriegsliteratur. Ich finde, der Versuch ist gelungen. Ein wenig Begeisterung für Vögel muss man als Leser allerdings mitbringen.

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gebundenes Buch, 240 S.
Sprache: Deutsch
C.H. Beck
ISBN: 9783406677458