Sieben Seiten der Wahrheit (kartoniertes Buch)

Sieben Seiten der Wahrheit

Seven Types of Ambiguity

Roman

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Bibliographische Informationen
ISBN/EAN: 9783442740192
Sprache: Deutsch
Seiten: 879 S.
Fomat (h/b/t): 5 x 18.8 x 11.8 cm
Bindung: kartoniertes Buch

Beschreibung

Seit zehn Jahren kommt Simon nicht über den Verlust seiner großen Liebe hinweg, obwohl sie sich seit der Trennung nie wiedergesehen haben. Und so verfällt er eines Nachmittags einer aberwitzigen Idee und begeht eine Tat, die nicht folgenlos bleiben wird: Er entführt den kleinen Sohn seiner ehemaligen Freundin. Die Entführung, vielleicht nur ein Akt der Verzweiflung, löst einen Skandal aus und zwingt alle Beteiligten, ihr Leben auf den Prüfstand zu stellen.

Autorenportrait

Elliot Perlman wurde 1964 in Melbourne geboren. Er praktizierte einige Jahre als Anwalt, bis er nach dem Erfolg von "Drei Dollar", seinem ersten Roman, nach New York zog, wo er sich ausschließlich dem Schreiben widmete. Perlmans literarisches Werk ist preisgekrönt. Sein zweiter Roman "Sieben Seiten der Wahrheit", der ihm international den Durchbruch bescherte, wurde von der Presse als "große Literatur" (Deutschlandradio Kultur) gefeiert; sein dritter Roman "Tonspuren" erschien 2013. Elliot Perlman lebt heute wieder in Melbourne.

Leseprobe

Fast hätte er Sie gestern abend wieder angerufen. Können Sie sich das vorstellen, nach all den Jahren? Er schon. Er stellt sich vor, wie er Sie anruft oder Ihnen zufällig über den Weg läuft. Je nach Wetter sieht er Sie dann in einem geblümten Sommerkleid vor sich oder in ausgewaschenen Jeans und einer dicken Strickjacke über einem karierten Hemd, wie Sie einen Becher Kaffee trinken, während es regnet, und in einem Gedichtband lesen, mit Ihrer Schildpattbrille auf der Nase. Er stellt Sie sich mit zurückgebundenem Haar vor, und Ihr Hals duftet seltsam, lieblich, wie immer. So sieht er Sie vor sich, wenn er im Zug ist, im Supermarkt, bei seinen Eltern oder wenn er nachts allein ist. Oder mit einer Frau zusammen.Doch er irrt sich. Sie haben nie Gedichte gelesen - er wollte das von Ihnen, aber Sie wollten nicht. Auf Nachfragen gibt er zu, nicht mehr genau zu wissen, was Sie gelesen haben. Und überhaupt, die ganze Sache hat nicht damit angefangen, was Sie gelesen haben. Sondern mit Ihrem Lachen, diesem sorglosen Lachen, als wären Sie einer Werbung für Coca-Cola entsprungen, mit den Freunden, die alles mal ausprobieren mußten, mit Ihrer Gleichgültigkeit gegenüber allen Frauen, die vor Ihnen da waren, mit den Telefonketten, den Insiderwitzen, der Musik und dem Sonnenschein, der Ihnen anhaftete. Mit seinen Gefühlen, wenn Sie mit seinen Eltern redeten, mit den Einführungsseminaren an der Uni, mit Ihrem unvermeidlichen Erfolg, mit den Strandhäusern, der weißen Spitzenunterwäsche, dem Tanzen nur für ihn, mit der Selbstverständlichkeit, mit der Sie ihre studentischen Aushilfsjobs hinnahmen, mit dem scheinbaren Mangel an Erwartungen, mit den ewig wechselnden und doch entbehrlichen Ritualen des Landlebens, mit der Familie, der Ostküste, der Klassik, der Moderne, der Postmoderne, mit denVerarmten, den elegant Deregulierten, mit dem Orgasmus, dem Femininen und dem Feministischen. Und schließlich mit der Art, wie Sie mit ihm Schluß machten, so beiläufig, als mischten Sie gerade den Salat.Wie er Sie sieht, würde Ihnen gefallen: Er benutzt Sie als Waffe gegen sich selbst - und das nicht nur, weil Sie das auch getan haben. Manchmal, wenn er die Stadt verläßt, sitzt er in seinem Wagen vor einer roten Ampel und überlegt, wie oft er wohl schon dagesessen haben mag, vor dieser Ampel, ohne Sie, allein unterwegs, irgendwohin, wo er hoffte, eine Frau kennenzulernen, damit Sie zu einer bloßen Erinnerung würden verblassen können, zu einer Geschichte, die er irgendwann mit anderen Geschichten verwechseln würde. Er denkt an Sie, während die Frau neben ihm glaubt, er schlafe. Daß es viele Frauen gab, dürfte Sie nicht überraschen. Wissen Sie noch, daß Sie ihn schön fanden? Gesagt haben Sie ihm das nie. Er mußte es sich denken. Aber er war tatsächlich schön und ist nun, gut neun Jahre später, noch schöner. Die Jahre haben ihn reifen lassen, und das gutaussehende Jungengesicht von einst überzieht nun ein glatter, makelloser Charme. Allerdings nicht immer: Gleich morgens nach dem Aufwachen - oder wenn er getrunken hat -ist der Charme verschwunden. Das Trinken ist eigentlich nicht das Problem, jedenfalls nicht zur Zeit, nicht in diesen Tagen. In letzter Zeit hat er damit nicht mehr Probleme gehabt als, sagen wir, Ihr Mann - was heißen soll, die Menge an sich stellt in letzter Zeit keinen Grund zur Besorgnis dar. Aber beide Männer haben insgeheim das Bedürfnis, das zu hemmen, was sie hemmt. In Simons Fall ist das Trinken nur die Spitze eines älteren Eisbergs, der unter allem liegt.Oft ist Simon selbst mit alltäglichen Aufgaben überfordert: zu duschen und sich zu rasieren, sich anzuziehen, die Wäsche zu waschen, etwas zu essen, Empson zu füttern. Ihm geht das Essen aus, bis auf die einfachsten Grundnahrungsmittel, und er unternimmt nichts dagegen, bis der Hund nichts mehr zu fressen hat. Sie können Empson nicht kennen. Simon hat ihn als jungen Welpen bekommen, er dürfte jetzt etwa dreieinhalb sein. Simon hat ihn gewöhnlich zur Schule mitgenommen. Solche Sachen waren