Das Umkehrspiel (gebundenes Buch)

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Bibliographische Informationen
ISBN/EAN: 9783446198531
Sprache: Deutsch
Seiten: 208 S.
Fomat (h/b/t): 2.2 x 21 x 13.5 cm
Bindung: gebundenes Buch

Beschreibung

Lauter merkwürdige Geschichten erzählt Tabucchi in diesem Buch. Von dem Schriftsteller, der bei Abendgesellschaften auswendig Scott Fitzgeralds Romananfänge deklamiert. Von Ettore, der als Nachtclubsängerin Josephine rauschende Erfolge feiert, und von Dino Campana, dem großen italienischen Dichter, der wahnsinnig wurde. Ein Meister des Vexierspiels erzählt von ganz normalen Verrückten.

Autorenportrait

Antonio Tabucchi (1943-2012), eine der bedeutendsten Stimmen der europäischen Literatur, war Autor von Romanen, Kurzgeschichten, Essays und Bühnenstücken und Herausgeber der italienischen Ausgabe der Werke Fernando Pessoas. Er lehrte Portugiesische Sprache und Literatur und schrieb für zahlreiche italienische und ausländische Zeitungen. Sein Werk wurde in mehr als 40 Sprachen übersetzt und mit vielen wichtigen Preisen ausgezeichnet, darunter der Premio Campiello, der Prix Médicis Etranger, der Prix Européen de Littérature und der Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur. Bei Hanser erschienen u.a. Lissabonner Requiem (2002), Es wird immer später (Roman in Briefform, 2002), Tristano stirbt (Roman, 2005), Die Zeit altert schnell (Erzählungen, 2010), Die Autobiographien der anderen (Über die Bücher und das Leben, Edition Akzente 2013), Für Isabel (Ein Mandala, 2014), Reisen und andere Reisen (2016) und Geschichten zu Bildern (2019).

Leseprobe

Madame empfing mich zu dem Gespräch auf der Terrasse. Sie lag auf einer sehr spartanischen Binsenliege ohne Kissen, Modell Yoga-Meditation, und trug einen blaßblauen Kimono. Bis zum letzten Augenblick war ich unentschlossen gewesen, ob ich den blauen Plisseerock mit dem roten Pullover anziehen sollte, im Stil "junges Mädchen aus guter Familie, das im Tennisklub verkehrt", oder das nußbraune Tweedkostüm mit der beigen Bluse. Schließlich hatte ich mich für das Kostüm entschieden, nicht ohne mich selbst zu wundern, denn die Jahreszeit war keineswegs ideal für diesen eher schweren Tweed. In jenem Jahr verlängerte ein leuchtender Oktober scheinbar mühelos einen Sommer, der majestätisch gewesen war, und die allerletzten Touristen schlenderten noch in Shorts am Seeufer entlang, als wollten sie die letzten Sonnenstrahlen aufspeichern.Aber verdammt noch mal, dieses Kostüm hatte mich fast ein ganzes Gehalt gekostet, obwohl ich es letzten Winter im Schlußverkauf erstanden hatte, außerdem hatte ich noch keine Gelegenheit gefunden, es anzuziehen. Es war ein Saint-Laurent-Modell mit maskulinem Einschlag - Hosenrock, eckige Schultern mit fester Polsterung im Stil der vierziger Jahre und breite Revers mit zwei Knöpfen. Eine todschicke Angelegenheit: In der Vogue trug Deborah Kerr, an der Veranda ihrer Ranch lehnend, haargenau das gleiche. Aber wer in der blöden Schule hätte schon ein Saint-Laurent wie dieses zu schätzen gewußt? Meine Kolleginnen erschienen morgens gauenvoll hergerichtet, es fehlten nur noch die Schürze und die Lockenwickler. Da konnte ich ebensogut zum Gespräch mit Madame das Saint-Laurent anziehen, so würde es wenigstens einmal jemand würdigen. Zumindest nahm ich das an, und wie ich glaubte, aus gutem Grund. Ich meine, so eine Villa paßte einfach nicht zu einem dieser dümmlichen Geschöpfe vom Typ reiche Metzgersgattin, wie sie die Hügel rund um den See mit Häusern verunstaltet hatten, die es an Geschmacklosigkeit mit Disneyland aufnehmen konnten, und wie sie zu Saisonende, wenn der Chef die "Versteigerung ohnegleichen" veranstaltete, in die Galerie einfielen und mit Schinken davonzogen, bei deren Anblick einem Pferd schlecht geworden wäre, um sie an den Wänden ihrer Stadtdomizile aufzuhängen. Im übrigen brauchte man sich nur das schmiedeeiserne Tor zu betrachten, von dem zwei schnurgerade Zypressenreihen ausgingen, die arabeskenverzierten Türmchen im Stil der Jahrhundertwende, jedes mit eigenem Blitzableiter, den italienischen Garten und die von Bougainvilleen überwachsene Terrasse. Und außerdem war ich der Ansicht, daß sich mit Scharfsinn auch an einer einfachen Zeitungsannonce das Format einer Dame ablesen ließ. Die Stellenanzeigen, die ich samstags begierig überflog, strotzten nur so von plump sich anbiedernden oder bestenfalls dürftigen und leicht durchschaubaren Angeboten, wo sich hinter der "Chance für eine brillante Karriere"das elende Klinkenputzen mit einer Enzyklopädie für schwachsinnige Kinder verbarg. Ein Angebot wie dieses für die Stelle einer Sekretärin kam nicht häufig vor: "Intelligenz, Diskretion, Kultur. Französisch unerläßlich."Ich war überzeugt, daß ich diese vier Vorzüge eindeutig besaß. Schade nur, daß weder der Schuldirektor, der sich aufregte, weil ich mit den Kindern über die Maja desnuda sprach, noch der Galerieinhaber, dem es nur darum ging, die Vareser Damen zu rupfen, es jemals bemerkt hatten. Ihr Pech.