Der Wanderer (Leinen)

Der Wanderer

Goethe in Italien

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Bibliographische Informationen
ISBN/EAN: 9783446198760
Sprache: Deutsch
Seiten: 736 S.
Fomat (h/b/t): 5 x 22.6 x 15.2 cm
Bindung: Leinen

Beschreibung

Seit Generationen lesen wir Goethes Italienische Reise als das größte Reisebuch, als eine der bedeutendsten Autobiografien. In Norbert Miller hat das Werk nun selbst einen Biografen gefunden. In großem erzählerischen Bogen schildert er die Reise und bietet dem Leser zugleich reiche Wissenschaftsexkurse.

Autorenportrait

Norbert Miller, geboren 1937 in München, studierte Literatur- und Musikwissenschaft sowie Kunstgeschichte in Frankfurt/ Main und Berlin. Von 1962 bis 1965 war er als Assistent an der Universität Frankfurt/Main tätig. Ab 1973 hatte Müller ein Ordinariat für Vergleichende Literaturwissenschaft an der TU Berlin inne, bis 2004 war er geschäftsführender Direktor des Philosophie, Literatur-, Wissenschafts- und Technikgeschichte. Seit 2006 ist er emeritiert. Er ist Mitherausgeber der Zeitschrift Sprache im technischen Zeitalter und der Münchner Ausgabe der Werke Goethes. Als Autor veröffentlichte er u.a. 2002 Der Wanderer. Goethe in Italien, 2009 Die ungeheure Gewalt der Musik. Goethe und seine Komponisten und zuletzt 2012 Fonthill-Abbey. Die dunkle Welt des William Beckford.  

Leseprobe

Unter dramatischen Umständen kehrten Goethe und Kniep von Messina aus nach Neapel zurück. Der halb erzwungene Aufenthalt in der vom Erdbeben verwüsteten Hafenstadt an der Meerenge zwischen Sizilien und Kalabrien bildete, jedenfalls in dem heiter ausgesponnenen Erzählgarn der Italienischen Reise, das groteske Schlußstück der homerischen Wanderungen durch Sizilien. Die widrige Physiognomie der einst so prunkliebenden Stadt, die löchrig gewordene Hafenfront der im Halbkreis geordneten Paläste, die Palazzata, als eine großsprecherische Attrappe vor den dahinter eingenisteten Elends-Behausungen, die so närrische wie ängstliche Betriebsamkeit auf den Straßen und Plätzen, und mitten darin der Gouverneur dieser so schwer heimgesuchten Metropole, wie ein der Vorwelt entronnener Oger, der in Goethes Schilderung die Züge eines in die Komödie oder ins Satyrspiel hineingeratenen Polyphem annahm. Als die Reisenden überstürzt aus den Fängen notgedrungener Gastfreundschaft sich auf einen französischen Kauffahrer flüchten, ahnen sie noch kaum, was für Abenteuer ihnen bevorstehen. Der Golf enthüllt dem ferner rückenden Blick schmerzlich die Schönheit der beiden Ufer, die schon, inmitten aller Gefahren, der über die Meere irrende Odysseus vor Augen gehabt haben mußte: "doch beschäftigte uns, bei allmähliger Entfernung vom Ufer, die herrliche Ansicht des Palastzirkels, der Zitadelle, der hinter der Stadt aufsteigenden Berge. Calabrien an der andern Seite. Nun der freie Blick in die Meerenge nord- und südwärts, bei einer ausgedehnten, an beiden Seiten schön beuferten Breite. Als wir dieses nach und nach anstaunten, ließ man uns links, in ziemlicher Ferne, einige Bewegung im Wasser, rechts aber, etwas näher, einen vom Ufer sich auszeichnenden Felsen bemerken, jene als Charybdis, diesen als Scylla. Man hat sich bei Gelegenheit beider, in der Natur so weit aus einander stehenden, von dem Dichter so nah zusammengerückten Merkwürdigkeiten, über die Fabelei der Poeten beschwert und nicht bedacht, daß die Einbildungskraft aller Menschen durchaus, Gegenstände, wenn sie sich solche bedeutend vorstellen will, höher als breit imaginiert und dadurch dem Bilde mehr Charakter, Ernst und Würde verschafft." Die abschließende Bemerkung knüpft an die Überlegungen an, die Goethe im Anblick der Tempel von Paestum über die verändernde Macht der Phantasie in der Aneignung vorfindlicher Wirklichkeit angestellt hatte. Aber diese und ähnliche Überlegungen entschwanden dem neuen Odysseus rasch, als die Wiederkehr der Seekrankheit ihm den Anblick der vom Mythos überglänzten Küsten und die wunderbare Erscheinung einer Schar Delphine, die das Schiff schwimmend und springend begleiteten, auf Dauer raubte. Erst am dritten Tag, in der Annäherung an den Golf von Neapel, konnte sich Goethe, dem Freund beim Zeichnen über die Schulter schauend, der Herrlichkeit dieser in wechselndes Abendlicht getauchten Landschaft mit dem begeisterten Blick des Künstlers überlassen, der auf seinen Zustand nicht zu achten braucht. Noch in der Nachzeichnung des Reiseberichts wirkt dieser überdehnte Augenblick des Glücks mit der gleichen Leuchtkraft wie zum Zeitpunkt des Erlebens: "In dem glänzendsten Farbenschmuck lag Cap Minerva mit den daranstoßenden Gebirgen vor unsern Augen, indes die Felsen die sich südwärts hinabziehen schon einen blaulichen Ton angenommen hatten. Vom Cap an zog sich die ganze erleuchtete Küste bis Sorrent hin. Der Vesuv war uns sichtbar, eine ungeheure Dampfwolke über ihm aufgetürmt, von der sich ostwärts ein langer Streif weit hinzog, so daß wir den stärksten Ausbruch vermuten konnten. Links lag Capri steil in die Höhe strebend; die Formen seiner Felswände konnten wir durch den durchsichtigen, bläulichen Dunst vollkommen unterscheiden. Unter einem ganz reinen, wolkenlosen Himmel glänzte das ruhige, kaum bewegte Meer, das bei einer völligen Windstille endlich wie ein klarer Teich vor uns lag." Nie freilich mag ihm das Schicksal des Odysseus verwandter, eind ...