Piano, piano (gebundenes Buch)

Piano, piano

Der Roman des Klaviers im 20.Jahrhundert

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Bibliographische Informationen
ISBN/EAN: 9783446199354
Sprache: Deutsch
Fomat (h/b/t): 3 x 21 x 13.2 cm
Bindung: gebundenes Buch

Beschreibung

Alfred Brendel fasst es kurz und bündig zusammen: 'Das Klavier kann alles.' Neben der klassischen Musik hat es sich im 20. Jahrhundert neue, faszinierende Bereiche wie Jazz, Film, Improvisation und Unterhaltungsmusik erobert. Dieter Hildebrandt erzählt diese Geschichte des Klaviers in all seinen Facetten: von Busoni bis Scott Joplin, von Rubinstein bis Gershwin, von Glenn Gould bis Keith Jarrett, von Horowitz bis Gulda. Eine Geschichte voll skurriler Erfindungen, Anekdoten und überraschender Wendungen - nicht nur der Musikstile!

Autorenportrait

www.friedrich-schiller.de

Leseprobe

Rubinstein fällt vom Stuhl Als die "Titanic" in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1912 nach dem Zusammenstoß mit einem Eisberg bei Kap Race in der Nähe der Südspitze von Neufundland unterging, versanken neben 1490 Menschen auch drei Instrumente: der Flügel im Salon der ersten Klasse, ein Klavier in der zweiten und ein weiteres in der dritten. Die Marken sind, selbst für den Salon, nicht überliefert. Das Klavier ist nämlich zum Luxusinstrument der frühen Traumschiffe des Jahrhunderts geworden und zugleich eine Art Sedativ. Es spielt, gerade auf der heiklen, oft stürmischen Atlantikpassage, eins vor: Sicherheit, Lässigkeit, entspannte Normalität. "Wir spielten, weil der Ozean so beängstigend groß war", heißt es bei Alessandro Baricco in seiner "Legende vom Ozeanpianisten". Denn: Wo ein Klavier erklingt, gibt es keine Gefahr, außer für Pianisten. Wo die Töne perlen, fürchtet man keinen Schiffbruch. Man ist nicht auf hoher See, man ist auf hohem Niveau. Arthur Rubinstein hat seine erste Überfahrt nach Amerika, um die Jahreswende 1905/06, ausführlich beschrieben. In der Halle der relativ bescheidenen "Touraine", die gleichzeitig als Foyer, Lesesaal, Schreibzimmer und allgemeiner Aufenthaltsraum dient, steht ein Pleyel, also ein anspruchsvoller Flügel. Rubinstein erleidet das Schicksal der meisten Atlantikpassagiere, wenn ihr Schiff erst aus dem Schutz der Britischen Inseln aufs offene Meer hinauskommt: Er wird seekrank. Denn auch wenn kein Sturm herrscht, türmt sich hier der Wellengang auf, gerät der Dampfer ins Stampfen, Schlingern, gar Rollen, und die Passagiere merken zum erstenmal, daß sie sich auf einem Spielball befinden. Und Rubinstein, Sturm nur gewöhnt aus der Chopin-Etüde, gerät in einen Aufruhr der Elemente, erlebt eine der übelsten Passagen. "Nach zwei schlaflosen, immer wieder von Übelkeit heimgesuchten Nächten hielt ich es in der schlechten Kajütenluft nicht mehr aus. Ich kleidete mich an, kämpfte mich mühsam bis zur Halle vor und wollte auf das Promenadendeck hinaustreten. Alle Türen waren verschlossen, es hieß: draußen ist es gefährlich. Also setzte ich mich ans Klavier. Es war schwierig, sich auf dem Hocker zu halten, doch das Spielen ging recht gut. Nach einer Weile machte ich eine herrliche Entdeckung: spielte ich ein Stück von starkem Rhythmus, so paßte sich meine Atmung diesem Rhythmus an und nicht mehr dem unregelmäßigen Stampfen des Schiffes, wodurch jeder prompt seekrank wird. Da weiteres Experimentieren die Richtigkeit meiner Entdeckung bestätigte, beschloß ich, in der Halle zu bleiben, um im Notfall den Flügel in Reichweite zu haben. Ein freundlicher Steward brachte mir mein Essen - er war Musikliebhaber." Bei der Silvesterfeier an Bord passiert es dann. Ob es der Wellengang war oder der Champagner, dem der junge Pianist reichlich zuspricht: er fällt, am Flügel sitzend, vom Hocker. "Ich war nicht verletzt, doch der Kapitän befahl zwei Matrosen, meine Beine mit Liederriemen an den Hocker zu binden, der seinerseits mit dem Fußboden verschraubt war, wie auch der Flügel. Ich beendete das Konzert ohne weitere Zwischenfälle und genoß es, >an meine Kunst gefesselt< zu sein." Daß diese Fesselung ihn nicht hindert, Nächte hindurch mit ausgebufften Partnern zu pokern und dabei über den Tisch gezogen zu werden, spricht sich noch vor der Ankunft der "Touraine" telegraphisch nach New York herum. "Junger Mann, hoffentlich spielen Sie besser Klavier als Poker!" - so empfängt ihn sein New Yorker Agent, ein Mr. Ulrich. Und die Reporter am Kai stellen, zumindest in der Erinnerung Rubinsteins, jene Fragen zwischen Sensationsgier und Imbezillität, die sich ein junger Künstler nur wünschen kann: "Wer waren Ihre Partner beim Poker? Sind Sie der Sohn von Anton Rubinstein? Zerreißen Ihnen bei jedem Konzert ein paar Klaviersaiten? Sind Sie Schüler von Paderewski?" Aber so dicht ist der Pianistenverkehr auf der Nordatlantikroute, daß Arthur Rubinstein - der mit Anton Rubinstein nicht im mindesten verwandt ist - bei sei