Was als wissenschaftlich gelten darf (E-Book, PDF)

Was als wissenschaftlich gelten darf

eBook - Praktiken der Grenzziehung in Gelehrtenmilieus der Vormoderne, Campus Historische Studien

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Bibliographische Informationen
ISBN/EAN: 9783593422770
Sprache: Deutsch
Seiten: 566 S., 94.47 MB
Auflage: 1. Auflage 2014
E-Book
Format: Digitale Rechteverwaltung: Digitales Wasserzeichen

Beschreibung

Lange Zeit hat man den Kulturen der Vormoderne die Befähigung zu Wissenschaftlichkeit abgesprochen. Dies geschah zu Unrecht, denn auch in den Jahrhunderten vor 1800 gab es institutionelle Ausprägungen, Lebenssituationen und Trägermilieus, soziale Vernetzungen und Regulierungsmechanismen von Wissenschaft. Öffnungsversuche gegenüber neuen Wissensfeldern, dezidierte Absonderungen von vermeintlich dilettantischem und unorthodoxem Wissen sowie der Umgang mit »geheimem« Wissen sind daher wichtige neue Phänomene, die dieser Band in Beiträgen von Vertretern unterschiedlicher kultur- und sozialwissenschaftlicher Disziplinen eingehend untersucht.

Autorenportrait

Martin Mulsow ist Professor für Wissenskulturen der europäischen Neuzeit an der Universität Erfurt und Direktor des Forschungszentrums für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien Gotha. Frank Rexroth ist Professor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Göttingen.

Leseprobe

VorwortZu untersuchen, mit welchen Praktiken vormoderne Gelehrtenmilieus die Aufnahme neuen Wissens regulieren (und möglicherweise unterbinden), war bereits das Anliegen einer Sektion auf dem Deutschen Historikertag in Berlin 2010, die wir gemeinsam organisiert hatten. Dass die dort gehaltenen Referate eine solch lebendige Diskussion entfachten, ermunterte uns, eine ganze Tagung dem "boundary work" mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Wissenschaft zu widmen. Bei deren Durchführung vom 29. Februar bis zum 2. März 2012 unterstützte uns neben unseren beiden Universitäten auch die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Für den Abendvortrag von Martin Gierl stellte uns das Göttinger Lichtenberg-Kolleg freundlicherweise seine Räumlichkeiten zur Verfügung. Unser Dank gilt neben diesen Institutionen vor allem Dr. Katharina Ulrike Mersch, die mit großer Präzision und gewohnter Professionalität die redaktionelle Betreuung der Manuskripte besorgte. Dr. Matthias Heiduk übernahm die Organisation der Historikertagssektion und der Göttinger Tagung, Lisa Schneider wirkte mit bei der Erstellung der Druckfahnen. Unser Dank gilt auch Herrn Jürgen Hotz vom Campus-Verlag, der die Drucklegung engagiert förderte.Erfurt und Göttingen, am 11. März 2014Die HerausgeberPraktiken der Grenzziehung in Gelehrtenmilieus der Vormoderne. Einige einleitende BemerkungenFrank RexrothDie Grenzen, von denen im Titel dieses Bandes die Rede ist, sind diejenigen der vormodernen Wissenschaften. Ihre Wächter sind zunächst die institutionellen Mechanismen der organisierten Disziplinen: Die Immatrikulationseide der Hochschulen und die akademischen Grade, die an diesen verliehen werden; die Curricula und die Examina, die der Neuling wie Übergangsrituale abzulegen hat; die Pflichtvorlesungen und die Verbote, bestimmte Texte zu lesen oder zu hören. Doch dies waren keineswegs die einzigen Vorrichtungen zur Regelung der Frage, ob eine bestimmte geistige Praxis als wissenschaftlich gelten konnte, mithin der Frage, welches die erlaubten und welches die inakzeptablen (und vielleicht sogar verbotenen) Wissenschaften waren. Denn das höhere Wissen der Vormoderne war keineswegs auf die stark regulierten, in Ansätzen bürokratisierten Universitäten begrenzt. Entscheidende Innovationen erbrachten Gelehrte bereits in den scholae des 12. Jahrhunderts, an den Höfen der gesamten Vormoderne, an den frühneuzeitlichen Akademien, Spezialschulen und Gelehrtensodalitäten. Und mehr noch: Auch unterhalb der Schwelle jener festen Institutionen der Grenzziehung stabilisierte eine ganze Reihe sozialer Regulative die Vorstellungen von der Angemessenheit intellektueller Praktiken und ihrer Hervorbringungen: die fama und die "Ehre" bzw. das "Ethos" des Gelehrten, das decorum seines Verhaltens, überdies die einigenden Mechanismen der akademischen Stände und der Professionen, die aus den universitären Korporationen der Theologen, Juristen und Mediziner heraus entstanden. Ihnen sind wertvolle Studien gewidmet worden, so dass wir über ihre Eigenlogik und ihre sozialen Funktionen vor allem dort recht gut Bescheid wissen, wo es um die Inklusionsmechanismen und Integrationspraktiken der Wissenschaft geht.Freilich kann man für die Jahrhunderte vor dem ausgehenden 18. Jahrhundert keine ähnlich klar ausgeprägte Spezifität des wissenschaftlichen gegenüber anderen Formen gelehrten Wissens annehmen. Denn erst in dieser Ära konstituierte sich die Wissenschaft nach dem Paradigma der Forschung neu, so dass Gelehrtheit und forschungsbasiertes wissenschaftliches Wissen auseinandertraten. Unsere eigenen Vorstellungen von dem Wissen, das das Gütesiegel der Wissenschaftlichkeit trägt, sind unvermeidbar von den Verhältnissen der vergangenen 200 Jahre - und vor allem natürlich von unserer eigenen Forschungspraxis - beeinflusst. Wenn wir also von heute über den "big ditch" (Ernest Gellner) der Sattelzeit hinweg auf die Welt des 12. bis 18. Jahrhunderts sehen, sind wir gehalten, die "fundamentale Diskontinuität" in der Evolution der Wissenschaft als einem gesellschaftlichen Funktionssystem, die für den Beginn der Moderne charakteristisch ist, zu berücksichtigen. Die Alternative wäre, diese Dissonanz im Sinne eines produktiven Anachronismus zur Erkenntnisgewinnung zu nutzen: Welche Fragen an die Vormoderne legen die Verhältnisse der Moderne nahe? Hierzu im Folgenden einige einleitende Überlegungen.Wissenschaftsgeschichte wird lange schon nicht mehr als das Gedächtnis akademischer Disziplinen verstanden, als Speicherort für das, was auf früheren Stufen des wissenschaftlichen Fortschrittskontinuums einmal als wahr und richtig galt. Auch sind die starren Positionen eines externalistischen Verständnisses von wissenschaftlicher Erkenntnis (nach der vor allem sozioökonomische und politische Rahmenbedingungen als Motor der Erkenntnis angesehen worden sind) und einer internalistischen Position (nach der nur Wissenschaft wissenschaftliche Erkenntnis aus sich hervorbringt) aufgegeben worden. In den Fokus sind bei der Frage nach der Rolle außerwissenschaftlicher Faktoren für die Wahl von Gegenständen, Methoden und Theorien sowie die Gewinnung von Ergebnissen keineswegs nur die soziokulturellen Einbettungen oder die evidenten politischen und ökonomischen Einflussnahmen gerückt, sondern auch das implizite Wissen der Wissenschaftler sowie die kleinen Logiken der Alltagswelt, die lebensweltlich verankerten Vorannahmen zum Beispiel von den Grenzen des Denkbaren oder die Konkurrenz um die begrenzten Ressourcen, die für die Forschung zur Verfügung stehen. Auch im Inneren der Wissenschaften und ihren Trägermilieus spielten soziokulturelle und damit außerwissenschaftliche Faktoren eine entscheidende Rolle. In ihnen wirkten, bewusst oder unbewusst, Vorannahmen davon, was als wissenschaftlich gelten darf und was nicht. Die tätige Praxis der Gelehrten und der Forscher zu studieren, meint daher auch, sich zu fragen, auf welchen Wegen sich die Wissenschaft ihr Anderes selbst schafft und ihre Identität in der Kommunikation mit diesem angenommenen Gegenüber schärft.Wie verhält es sich dabei mit den Techniken der Exklusion, der Abschließung und der Selbstimmunisierung gegen das Andere der Wissenschaft? Wie etikettierten die Gelehrten dieses Andere, wie symbolisierten sie, dass dieses nicht zu ihrem Bereich gehört? Welche Hürden mussten die newcomer überwinden, um ins akademische Establishment aufgenommen zu werden? Wo während des 20. Jahrhunderts Kampfbegriffe wie "Dilettantismus" und "Pseudowissenschaft" eine wichtige Rolle spielten, hat man für die Vormoderne nach Funktionsäquivalenten zu fragen, nach Bildern vom verbotenen oder geheimen Wissen, von Scharlatanerie, Kurpfuscherei, Quacksalberei und überhaupt falschem Gelehrtentum. In Anwendung eines Zugangs, der bislang fast ausschließlich an der Moderne erprobt wurde, lassen sich diese vormodernen Kulturmuster im Sinne des Wissenschaftssoziologen Thomas F. Gieryn als "boundary work" bezeichnen. Bei derartigen Grenzziehungspraktiken des Mittelalters und der Frühneuzeit setzen die folgenden Beiträge an.Im nächsten Abschnitt wird ein Blick auf einen klassischen - und daher gut erforschten - Fall von "boundary work" an der Grenze zur Moderne geworfen, nämlich die Auseinandersetzung um die Akzeptanz der Phrenologie in der schottischen Wissenschaftsszene des frühen 19. Jahrhunderts. An diesem Fall sollen im Sinne des besagten produktiven Anachronismus Leitaspekte entwickelt werden, die es ermöglichen sollen, die vormoderne Konstellation von etablierter Wissenschaft, neuen Wissensfeldern und außerwissenschaftlicher Umwelt aufzuschließen (1.). Wiederum auf dieser Grundlage soll dann die Suche nach Ähnlichkeiten und Differenzen - also nach der Spezifik - der vormodernen Situation begonnen werden. Dies kann freilich nicht für die Wissenschaft im Allgemeinen geleistet werden. Stattdessen soll exemplarisch ein begrenzter, aber für die organisierte Wissenschaft höchst relevanter Raum herausgegriffen werden: die Scholastik. An ihrem Beispiel wird es zunächst darum gehen, die Grenze, über die Autonomie und die Expansivität vormoderner gelehrter Arbeit zu reflektieren (2.). Abermals anhand der Scholastik werden anschließend diejenigen Aspekte erörtert, die die Beschäftigung mit modernem "boundary work" nahegelegt haben: der Eigensinn und die Denkstile von Disziplinen sowie deren Kommunikation mit der außerwissenschaftlichen Öffentlichkeit (3.). Einige allgemeine Bemerkungen schließen diesen Beitrag ab (4.).Dass es dabei darum geht, die Rahmenbedingungen gelehrter Praxis aus der dominanten Wissenschaftsorganisation der Vormoderne heraus zu umreißen, legt diese einleitenden Bemerkungen auf eine unbequeme Funktion fest. Denn deren Schwerpunkt ist damit auf die strukturellen Gegebenheiten festgelegt, die den akademischen Mainstream tragen. Die Perspektiven der Außenseiter und Dissenter nachzuzeichnen, wird der - zugegebenermaßen kurzweiligere - Part der darauf folgenden Beiträge sein.1. Phrenologie als BeispielDie Phrenologie war ein Kind des ausgehenden 18. Jahrhunderts, konzipiert von dem Arzt und Anatomen Franz Joseph Gall (1758-1828). Sie war auf die Annahme gegründet, dass das Gehirn Sitz des Verstandes sei, dass verschiedene Gehirnregionen für spezifische mentale Befähigungen stünden, dass man diese Befähigungen anhand der Größe der entsprechenden Gehirnregion quantifizieren könne und dass sich diese Größe des einschlägigen Gehirnbereichs in der Form des darüber liegenden Schädels widerspiegele. Die Regionen, die beispielsweise die Befähigung des Menschen zu rationalem Denken beherbergen, so glaubte man, seien an der Vorderseite des Gehirns angesiedelt, so dass eine hohe, gegebenenfalls sogar nach vorne ragende Stirn auf die überlegene Intelligenz eines Menschen schließen ließ. Die Phrenologie war daher eng verwandt mit der goethezeitlichen Physiognomie und gilt zugleich als die Vorläuferin der Kraniometrie, der Praxis der Schädelvermessung, die im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts mit so großen Hoffnungen beladen wurde und deren Rolle bei der Konstituierung des biologistischen De-terminismus ebenfalls viel wissenschaftshistorische Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Im Schottland des frühen 19. Jahrhunderts und unter dem Einfluss des Juristen George Combe (1788-1858) wurde die Phrenologie schon bald mit sozialreformerischen Sinngebungen versehen: Da die verschiedenen Befähigungen von Menschen, die in den Gehirnregionen repräsentiert waren, für genuin soziale und religiöse Anlagen standen (eine Region, so glaubten die Phrenologen, befähige zu religiösem Empfinden, eine andere sei für das Empfinden sexueller Lust zuständig etc.), konnte diese neue Wissenschaft im sozial unruhig gewordenen Edinburgh zu einem Hoffnungsträger von Sozialreformern werden. Die Verheißung, die von dieser Theorie ausging, besagte, dass mentale Anlagen auf physiologische Ursachen zurückgeführt werden konnten und dass das Wissen um die Ausprägung von Gehirnregionen bei Individuen direkte Handlungsanweisungen ermöglichte, die sich etwa bei der Aufgabe der Gattenwahl, dem Kampf gegen den Alkoholismus oder dem Umgang mit Geisteskranken bzw. Kriminellen abrufen ließ.Stephen Shapin hat demonstriert, dass die Vertreter derjenigen Disziplinen, die der Phrenologie am nächsten standen (also vor allem der Anatomie und der Moralphilosophie), diese nicht einfach ablehnten, sondern auch fürchteten. Denn die Phrenologie ließ hoffen, dass mit ihrer Hilfe der ersehnte Brückenschlag von der verfeinerten Empirie der gegenwärtigen Forschung zu den religiösen und sozialreformerischen Themen der eigenen Gegenwart gelingen könnte. Eine solche Allianz aber war politisch brisant, denn die Beziehungen zwischen den noch jungen experimentellen Wissenschaften und den Kirchen waren labil. Daher wuchs bei konservativen Universitätswissenschaftlern die Unruhe, dass mittels der Phrenologie aus dem Bereich empirischen Forschens auf denjenigen des religiösen Empfindens übergegriffen würde. An der prekären Grenze zwischen den empirischen Wissenschaften und der Religion zu rühren, erachteten sie als eine Gefahr.Die Polemik gegen die Phrenologie war darauf ausgerichtet, deren Wissenschaftlichkeit in Gelehrten-kreisen und in der Öffentlichkeit anzufechten und Combes Lehre als Pseudowissenschaft zu desavouieren. Die Anatomen nahmen ihre eigenen Schädelmessungen vor und konfrontierten die Phrenologen mit Ergebnissen, die deren Annahmen widersprachen. Zugleich publizierten sie ihre Angriffe in Journalen für die gebildeten Schichten, also in einer weiteren, interessierten Öffentlichkeit. Combes Bemühungen um einen örtlichen Lehrstuhl für Logik scheiterten am Widerstand seiner Gegner an der Universität. Die Edinburgh School of Arts ließ es nicht zu, dass die Phrenologen ihre Hörsäle für ihre populären, bis zu 500 Zuhörer anziehenden Vorträge nutzten. Ähnlich die Royal Society of Edinburgh: Auch sie verweigerte den unwillkommenen Aspiranten auf dem wissenschaftlichen Feld ihre Foren. Die British Association for the Advancement of Science gestattete Combe nicht, eine Sektion für Phrenologie einzurichten.Dass diese Lehre schließlich doch zu erheblichem Einfluss auf eine ganze Reihe von großen Reformanliegen gelangte, lag nicht daran, dass sie doch noch zu einer akademischen Disziplin geworden wäre und von dort aus quasi auf dem institutionellen Normalweg Wissen für lebensweltliche Belange zur Verfügung gestellt hätte. Vielmehr wurden ihre Propagatoren ohne den Umweg über die Universitätswissenschaft unmittelbar politisch einflussreich und mischten sich in die Reformdebatten der Zeit ein. Nicht die Universität und nicht die Akademie, sondern das Schulwesen, die Gefängnisse und die psychiatrischen Anstalten waren fortan ihre Foren.Befragt man diesen Konflikt darauf, wie hier konstruiert wurde, was im Rahmen der Wissenschaft als gültiges Wissen akzeptiert werden darf, dann sind drei Aspekte hervorzuheben. So scheinen erstens weniger die allgemeinen, umfassenden und weithin geteilten Vorstellungen von Wissenschaftlichkeit ausschlaggebend für die mangelnde Akzeptanz der Neuankömmlinge gewesen zu sein, sondern vielmehr die Vorstellungen in dem engeren Raum der akademischen Disziplinen. Denn diese befürchteten von der Aufnahme des Neuen eine Beeinträchtigung ihrer Identität und ihres akademischen Status. Im Fall der Phrenologen waren es vor allem die Anatomen als die Vertreter derjenigen Wissenschaft, die für die Arbeit am menschlichen Gehirn zuständig ist, und die Moralphilosophen, die sich für die Interaktion zwischen individuellem Handeln und sozialer bzw. religiöser Sphäre zuständig fühlten. Es fragt sich, ob sich diese Beobachtung verallgemeinern ließe: Waren es ganz allgemein solche Anrainer-Disziplinen, die die Grenzkonflikte des Wissenschaftlichen austrugen, also weniger die Universitäten als vielmehr deren Fakultäten? Wenn sich dieser Verdacht bestätigen sollte, dann wäre auch damit zu rechnen, dass Exklu-sionskonflikte dieser Art von dem Rangstreit und den Deutungskonkurrenzen der akademischen Disziplinen schlechthin beeinflusst wurden, also von den innerwissenschaftlichen Konkurrenzen, die so alt waren wie die universitates magistrorum selbst.Ein zweiter Aspekt ist mit diesem ersten eng verflochten. Das gewählte Beispiel demonstriert, dass man sich das Innere derjenigen Disziplinen, die die Grenzkonflikte gegenüber neuen Themen, Materien, Methoden und Theorien ausfochten, als Denkkollektive im Sinne Ludwik Flecks vorzustellen hat. In ihrem Inneren haben sie spezifische Denkstile ausgeprägt. Die Inauguration angehender Wissenschaftler in ein solchermaßen disziplinär gebundenes Denkkollektiv hinein, die Prozesse, in denen man allmählich die Regeln seines Fachs erlernt, scheint aber unversehens über das engere Feld dieser Regeln hinauszuweisen. Sie scheint zugleich die entscheidende Schleuse zu sein, mittels derer außerwissenschaftliche Voran-nahmen in die wissenschaftliche Praxis eindringen - in unserem Fall ging es dabei um die Praktiken des Messens und des Korrelierens von Physiologischem und Moralischem. In die Denkstile der schottischen Anatomen und der Philosophen waren auf diese Weise auch Vorstellungen von der prekären Relation zwischen wissenschaftlicher Empirie, religiöser Praxis und politischer Reformbereitschaft eingegangen, die in dem Konflikt mit den Neuankömmlingen eine entscheidende Rolle spielten. Kann man diese Beobachtung auch anhand der Vormoderne treffen: Gab es auch hier Denkstile, die an Disziplinen und ihre Praktiken gebunden waren? Und welche Funktion kam ihnen in den Exklusionskonflikten zu?Den dritten Aspekt erkennen wir, wenn wir auf die Strategien achten, mit denen die beiden universitären Wissenschaften die Neuankömmlinge bekämpften: Zum einen verweigerten sie ihnen die Hereinnahme in ihre Organisationsstrukturen, in die Fakultäten und die universitären Führungszirkel. Zugleich aber bemühten sich die Vertreter der approbierten Wissenschaften darum, die Ansprüche der Neuen auch vor einem außerwissenschaftlichen Publikum demonstrativ zu widerlegen. Das Spannungsfeld, das sich aus dieser Konstellation ergibt, bestimmte die Handlungsmöglichkeiten der Akteure: Verließ sich die etablierte akademische Wissenschaft zu sehr auf institutionelle Ausgrenzungspraktiken, dann riskierte sie, dass ihre Gegner erfolgreich an die stets latent vorhanden wissenschaftskritischen Ressentiments appellierten. Ließen sich die Vertreter der akademischen Disziplinen aber außerhalb ihrer Institutionen auf einen öffentlichen Austausch der Argumente mit ihren Gegnern ein, dann riskierten sie, dass das Arsenal des Sagbaren um außerwissenschaftliche, im beschriebenen Fall etwa um sozial- und religionspolitische, Gesichtspunkte erweitert wurde.Dies bedeutet, dass in der Debatte nicht mehr zwischen dem im wissenschaftlichen Sinn Wahren, dem vermeintlich Evidenten und dem moralisch bzw. gesellschaftlich Wünschbaren unterschieden wurde. Außerwissenschaftliche Faktoren konnten dann entscheidend sein. Im Hinblick auf die vormodernen Verhältnisse wäre unter diesem Aspekt also danach zu fragen, ob sich auch deren wissenschaftliche Grenzziehungskonflikte angemessen als Verhandlungsprozesse nicht zwischen zwei, sondern zwischen drei Größen begreifen lassen: nämlich einmal zwischen den Disziplinen, ein andermal zwischen neuen, nach Emanzipation strebenden Wissensfeldern und drittens einer außerwissenschaftlichen interessierten Umwelt, möglicherweise einer partiellen Öffentlichkeit.2. Vormoderne Wissenschaft: Grenze, Autonomie, ExpansivitätWenden wir uns nun, ausgestattet mit diesen Leitaspekten, endgültig der vormodernen Wissenschaft zu. Dabei sollen zunächst die Fragen nach deren Abgeschlossenheit, Autonomie und Erweiterungsdynamik im Vordergrund stehen. Verlangt man hier nach einer verallgemeinernden Aussage für die gesamte Zeitspanne von der Renaissance der Wissenschaften im 12. Jahrhundert bis zum Ende des Ancien Régime, wird man zunächst die entscheidende Differenz zur Moderne betonen müssen, von der oben bereits die Rede war: Eine klare, unzweideutige Scheidung zwischen höherem Wissen, das sich in Gelehrtheit manifestiert, und Wissenschaft im engeren Sinne einer von Forschung genährten Ausprägung dieses Wissens gab es nicht. Die Wissenschaft ist eine Form jenes höheren Wissens, sie wird als eine Sonder- und Steigerungsform der allgemein verfügbaren Episteme angesehen, die entweder auf die Rückführung von Einsichten auf allgemeingültige Wahrheiten zielt oder auf die Kenntnis der Vielfältigkeit von Phänomenen (cognitio rerum singularium). Dabei gilt die erstere Denkbewegung hin zum Allgemeinen der letzteren als überlegen. Auch mit dem Hinweis auf die andersartige Institutionalität dieses Wissens hat man schon auf diesen Unterschied zwischen modernem Forschertum und vormoderner Gelehrtenexistenz verwiesen: In ihren Lebensläufen bewegen sich vormoderne Gelehrte mit großer Selbstverständlichkeit vom einen Wissensfeld zum nächsten, was unter den modernen Bedingungen der hochspezialisierten Forschung unmöglich wäre. Und schließlich hat man darauf verwiesen, dass es keine klar gezogene Grenze zwischen der Sprache der Wissenschaft und anderen Formen der Artikulation höheren Wissens gab. Lese man die Publikationen der Royal Society of London, so Katharine Park und Lorraine Daston, dann könne man nach unseren Maßstäben nicht entscheiden, ob man es mit Literatur oder mit "scientific realism" zu tun hat.Der Einwand, den man an dieser Einschätzung allerdings anbringen muss, bezieht sich auf den frühsten und dann die gesamte Vormoderne prägenden Kernbereich der universitären Wissenschaft: auf die Scholastik, die in ihren Praktiken an den Hochschulen bis zur Sattelzeit hin präsent ist und die den akademischen Betrieb und vor allem die akademische Sozialisation weithin prägte. Dieses Feld des höheren Wissens ist mit einer Deutlichkeit definiert, die hinter den modernen Verhältnissen kaum nachsteht. Schon seit dem 13. Jahrhundert geben sich scholastische Texte in ihrem Aufbau, der Denkbewegung, die sie verkörpern, und durch die Verbindlichkeit ihrer Terminologie sofort und unbezweifelbar als solche zu erkennen, und das Arsenal der einschlägigen Literaturgattungen bleibt klar definiert. Ein scholastischer Text ist ein scholastischer Text ist ein scholastischer Text.Es scheint also mit der Scholastik einen Kernbereich gegeben zu haben, in dem die Wissenschaft durchaus als distinktes Feld existierte. Folglich wäre es irreführend, sich den Gang der Wissenschaft auf die Situation der Moderne hin zu so vorstellen wie die allmähliche und irreversible Evolution eines erst im Endstadium operativ geschlossenen Systems von diffusen Anfängen über diverse Emanzipationsvorgänge bis zur Ankunft des forschenden Wissenschaftlers in der sogenannten Sattelzeit. Sinnvoller ist es wohl, sich die Wissenschaften im Hinblick auf den Grad ihrer Schließung als in sich heterogen, in ihrem scholastischen Kernbereich jedoch als recht geschlossen vorzustellen.Klarer noch lässt sich die Frage nach der wissenschaftlichen Autonomie beantworten. Diese und die Sensibilitäten gegenüber ihrer Beschneidung sind in der vormodernen akademischen Wissenschaft aus-gesprochen stark ausgeprägt. Hat man unter ihnen ursprünglich einen privilegierten Rechtsstatus der Scholaren verstanden (also das Recht auf den eigenen Richter, die Nicht-Haftbarmachung für die Schulden anderer Scholaren, Schutz und Abgabenfreiheit während der peregrinatio academica, das Recht, sich selbst eine innere Ordnung zu geben und nach selbst gesatztem Recht zu leben), so umfasste diese Vorstellung wegen der akademischen Satzungsautonomie auch die Frage nach wissenschaftlichen Inhalten, denn ein Merkmal schon der frühsten akademischen Statuten war die Festlegung der zu lesenden Bücher. Diese aber exkludierte zumindest implizit, insofern mögliche Werke bei der Aufzählung des Kanons verbindlich zu lesender Texte nicht genannt wurden. Doch wurde auch mitunter deutlich gesagt, welche Werke nicht gelesen werden durften: "Nicht lesen soll man die Bücher des Aristoteles über die Metaphysik und die Naturphilosophie und auch nicht die Summen dazu, nicht von der Lehre Davids von Dinant, des Häretikers Amalrich oder des Mauritius Hispanus", heißt es in den Pariser Statuten von 1215. Wir haben also von einem hohen Anspruch der Universitäten auszugehen, mittels ihrer körperschaftlichen Organisation selbst zu entscheiden, was von ihren Angehörigen gelehrt werden durfte und wer zu lehren befugt war. Die Art und Weise, wie sich die Universität von Edinburgh gegen Combe und seine Mitstreiter immunisierte, ist noch von diesem vormodernen Denkhorizont aus zu begreifen. Beeinträchtigungen dieses Prinzips sind daher immer wieder vehement bekämpft worden. Dies sieht man etwa dort, wo die Hochschulen mit dem Anspruch von Päpsten, Königen oder Landesherren konfrontiert waren, externe Kandidaten zur Promotion und damit zur selbständigen Lehre zuzulassen (die sogenannten doctores bullati). Autonom im rechtlichen Sinne war die vormoderne Wissenschaft ihren Ansprüchen nach also, insofern sie Institutionen in ihrem Inneren ausprägte, die festlegten, was erlaubt ist und was nicht und die für die Wah-rung dieser Grenze zuständig waren und für solche Fälle auch Zwangsmittel bereithielten. Die "epistemische Glaubwürdigkeit" (Mario Biagioli) neuen Wissens aufzuwerten, setzte daher gelegentlich den Umweg über ein anderes soziales Feld voraus, so etwa den fürstlichen Hof.Eine eigene Betrachtung verdient im Hinblick auf die Chancen auf wissenschaftliche Autonomie die prekäre Grenze zwischen dem wissenschaftlichen Wissen und dem Glauben, also eben jene Grenze, die noch im Fall der Phrenologie krisenanfällig war. Dass in der Frühgeschichte wissenschaftlicher Zensur und Selbstzensur Vorstellungen von Häresie und Praktiken ihrer Bekämpfung eine große Rolle spielten, ist unbestreitbar. Die kirchliche Lehrverurteilung samt ihrer Übung, Professorenkollegien in die Praxis der Lehrverurteilung einzubeziehen, kann man als den Prototyp wissenschaftlicher Exklusion ansehen. Ein wichtiger Lerneffekt aus den jüngeren Forschungen zu den Lehrkonflikten des 12. bis 15. Jahrhunderts war aber, das dynamische Element in diesen Konflikten als hoch einzustufen, das heißt zu betonen, dass sich in der Abfolge dieser Auseinandersetzungen die Reflexion über die Relation von Wissen und Glauben zu-gunsten eines genuin philosophischen, nach eigenen Regeln zu bewertenden Raumes verschoben hat. Aus den Prozessen um die Lehrverurteilungen heraus sind Vorstellungen von einem profanen Philosophieren und einer emanzipierten Philosophenexistenz entstanden (Alain de Libera spricht von Intellektuellen). Mit anderen Worten: das Spannungsverhältnis, in dem das wissenschaftliche Denken und der christliche Glaube standen, wirkte sich für die Wissenschaft nicht schlicht repressiv aus. Vielmehr war es durchaus produktiv, denn es beförderte die Vorstellung von der Wissenschaft als einem von einer eigenen Logik und eigenen Regeln des Sagbaren geprägten Raum.Der dritte Aspekt, der auf die Relation vormoderner zu moderner Wissenschaftlichkeit unter unserem Interesse kritisch befragt werden muss, ist die Frage, nach welcher Dynamik wissensmäßiges Neuland gewonnen wird, das dann geprüft und inkludiert bzw. exkludiert werden muss. Für die Moderne ist hier das Prinzip der Unabgeschlossenheit der Welt konstitutiv, das den Wissenschaften ihren exploratorischen Charakter verleiht. Diese Zuversicht: durch "prospektiv ausgerichtete methodische Wissensvermehrung" immer wieder Neues zutage zu fördern, ist prägend für den Forschungsbetrieb unter den Bedingungen der Moderne. Auf empirische Tatsachenkenntnis haben auch in der Vormoderne wissenschaftliche Bereiche gezielt (dies vor allem seit dem 16. Jahrhundert), doch war dieser Denkstil dem der apriorischen Vernunfterkenntnis untergeordnet. Scholastische Wissenschaft ging von der gegenteiligen Vorannahme der Abgeschlossenheit des Wissbaren aus, so dass es zum Gemeinplatz geworden ist, ihre namengebende "Schulmäßigkeit" zu betonen oder von ihrer "Rezeptivität" zu sprechen. Die Frage ist nur, welche Schlüsse man aus dieser für sich genommen richtigen Charakterisierung ziehen will. Hierbei helfen vielleicht einige quantifizierende Beobachtungen weiter.Die Forschungsdatenbank ALCUIN verzeichnet im Februar 2014 33.335 Werke aus der Feder von insgesamt 6.830 mittelalterlichen Gelehrten. Der katalanische Gelehrte Ramon Llull verfasste allein ca. 265 Werke in lateinischer, katalanischer und arabischer Sprache. Den Gesamtumfang seines ¼uvre hat man auf 27.000 Seiten geschätzt, womit Ramon nur noch von Albertus Magnus übertroffen werden dürfte. Auch Thomas von Aquin hat mehr Text hinterlassen, als uns aus der gesamten Antike zusammengenommen an Philosophie erhalten ist. Ca. 1.400 verschiedene Kommentierungen der kanonischen Sentenzensammlung, die Petrus Lombardus verfasst hat, sind gegenwärtig bekannt. Wie dynamisch, aber auch wie eng es auf dem Feld des wissenschaftlichen Publizierens um 1400 geworden ist, hat Daniel Hobbins vor kurzem zeigen können. Für die Teilhaber am wissenschaftlichen Diskurs bedeutete dies, einem massiven Konkurrenzdruck ausgesetzt zu sein. Und ganz ähnlich wie in der Gegenwart wird es für den Wissenschaftler zu einer bisweilen entmutigenden Aufgabe, den Überblick über das bereits Publizierte zu bewahren. Ein funktionales Pendant zur gegenwärtig florierenden Ein-führungsliteratur entstand: Lies' zuerst meine Aristotelesexzerpte, so verhieß der Franziskaner Johannes de Fonte um 1300, und du wirst leichter mit dem einschüchternden Werk des Stagiriten umgehen lernen. Seine Arbeit ist in mehr als 150 Handschriften überliefert und wird vor 1500 27 mal gedruckt. Wer wie Ramon Llull eine breite Rezeption anstrebte, musste mit ihrem handlichen Format für seine Philosophie werben: Aus seiner "Ars ultima generalis" schälte er eine "Ars brevis" heraus, um verstanden zu werden. Auflistungen der Schriften berühmter Autoren, einstmals begonnen in der Absicht, den Kanon des orthodoxen Wissens abzustecken und damit der Ausbreitung von Irrlehren vorzubeugen, wurden nun in eine alphabetisch-technische Ordnung gebracht und bibliographischen Zielsetzungen unterworfen. Mit ihrer Hilfe sollte man sich einen Überblick über die kaum noch zu bändigende Literaturlage erarbeiten können.Es ist daher falsch, für die Vormoderne von einem Fehlen des Expansivitätsprinzips in der Wissenschaft zu sprechen, auch wenn diese vormoderne Erweiterungsdynamik einer anderen Logik folgt als diejenige, die in der Moderne so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Nicht um Wissenserweiterung ins bisher Unbekannte hinein geht es hier, sondern um die Verfeinerung der Reflexion über den Gegenstand und damit auch um die Vertiefung des Verständnisses von Referenztexten und ihren primären Auslegungen. Die recht hohe Selbstreferentialität begrenzt also die Möglichkeiten zur Innovation nicht, sie ist im Gegenteil Ansporn zur Innovation.3. Vormoderne Disziplinen: Konkurrenzen, Denkstile, Austauschbeziehungen mit ihrer UmweltDie drei Beobachtungen, die oben am Phrenologiestreit gemacht wurden, geben Anlass zu weiterführenden Fragen an die disziplinäre Ordnung der vormodernen Wissenschaften: Sind auch hier die Disziplinen verantwortlich für die Markierung und Wahrung von Grenzen? Prägen auch hier folglich die disziplinären Denkstile den Umgang mit den neuen, unvertrauten Wissensfeldern? Und hat dieser Umgang ebenfalls damit zu rechnen, von einer interessierten Öffentlichkeit beobachtet und beeinflusst zu werden?Dass die Wissenschaft, vor allem die universitäre Wissenschaft, von außen betrachtet als ein Ensemble konkurrierender und konfliktträchtiger Einzeldisziplinen erschien, wurde bereits bald nach der Entstehung der ersten Hochschulen gesagt. Dem Pariser Kanzler Philippe de Grève kam die örtliche Universität wie ein Monster mit vier fakultätsförmigen Köpfen vor, und als ein anderer Franzose 100 Jahre später einen mutigen utopischen Entwurf für eine bessere christliche Gesellschaft vorlegte, meinte er, man solle in dieser künftigen Welt die Schulen der Juristen, Astronomen, Mathematiker, Theologen und Mediziner auf keinen Fall unter einem Dach vereinen, sonst würden sich diese mit ihrem wechselseitigen Neid nur im Wege stehen! Das war ein klarer Affront gegen die Universität, gegründet auf die Beobachtung, wie stark die Interessenkonflikte zwischen deren Fakultäten sein konnten.In der Tat war das Ensemble der Fakultäten eher zufällig und mittelbar durch die gildemäßige Einung von Lehrern aus ganz unterschiedlichen Bereichen zu einer Schwureinung zustande gekommen. Die Entstehung von verfassten Fakultäten war ein nachgeordneter Vorgang; erst ein rundes halbes Jahrhundert nach der Konstituierung der universitas magistrorum et scholarium begann man in Paris mit dem Wort facultas neben Disziplinen und Fächern auch die rechtsfähige, siegelführende Fakultät zu bezeichnen. Die magistri standen für unterschiedliche Wissensfelder, sie versprachen sich von einem solchen Zusammenschluss erhöhte Chancen für die Durchsetzung ihrer Ziele, aber keine interdisziplinären Heldentaten. Auf eine Wissenschaftslehre, die die Relation zu den anderen Wissenschaften reflektierte, konnten sich selbst in Ansätzen nur die Artisten stützen, und auch deren theoretische Grundlegung wurde auf sehr unterschiedliche Weise vorgenommen. Entweder deklinierte das theoretische Schrifttum den Kanon der Artes nach dem Vorbild praescholastischer Schriften durch oder es sah von diesem entschieden ab und nahm auf meist aristotelischer Grundlage eine Binnendifferenzierung von "Philosophien" statt von "Artes" vor. Nur undeutlich wirkte die übliche Fakultätenstruktur der Universitäten auf die Wissenschaftslehren ein. Die Materien der oberen Fakultäten kamen in den typischen Wissenschaftslehren nur an untergeordneter Stelle vor - die Theologie dort, wo von der Metaphysik die Rede war, die Jura unter der Ethik, die Medizin unter der Physik oder den artes mechanicae. Die wenigen Texte, die anders verfuhren, wie die Wiener Katharinenpredigt Heinrichs von Langenstein von 1396 oder die Margarita philosophica des Freiburger Kartäusers Gregor Reisch von 1503, beeinflussten den Kanon nicht. Wie sich die Theologie zu diesem Stoff verhielt (sofern sie sich überhaupt als eine "diszipliniert denkende" Tätigkeit verstand), musste von den Theologen seit dem beginnenden 13. Jahrhundert erst theoretisch erörtert werden. Die Mediziner und Juristen scheinen selbst dort, wo sie über den für ihre Fächer relevanten Unterschied zwischen Theorie und Praxis bzw. dem Allgemeinen und dem Besonderen nachdachten, keine intensiveren Reflexionen darüber angestellt zu haben, wie sich ihre Fächer zu den Nachbardisziplinen verhielten. Letztere schätzten die Praxis höher als solche theoretischen Reflexionen: Für unfruchtbar halte man die Theorie ohne Praxisbezug, stellte ein bekannter Ordo iudiciarius einleitend fest.

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Inhalt> Vorwort Praktiken der Grenzziehung in Gelehrtenmilieus der Vormoderne. Einige einleitende Bemerkungen Frank Rexroth Auslegungskrisen. Grenzarbeiten zwischen Wissenschaft, Recht und Religion im französischen Bettelordensstreit des 13. Jahrhunderts Sita Steckel Disziplinen und Institutionen. Grenzen des Wissens im Mittelalter Maarten J.F.M. Hoenen Roger Bacon und die Geheimwissenschaften. Ein Grenzfall für die Wissenschaftskonzeptionen von Zeitgenossen und Nachwelt Matthias Heiduk Eine zu elitäre Wissenschaft. Astrologische Verfahren als Ausweis medizinischer Gelehrsamkeit von Thomas Bodier bis Giovanni Antonio Magini< Sabine Kalff"Pour satisfaire à la curiosité des Princesses& des Dames de la Cour". Grenzarbeiten am wissenschaftlichen Feld im Frankreich des 17. Jahrhunderts Andreas Pietsch Von Klio verstoßen. Praktiken der Abgrenzung in der Geschichtsschreibung des späten 17. Jahrhunderts Andreea Badea Mechanik und Mirakel: Johannes Andreas Schmidt (1652-1726) und die technischen Grenzen des Wunders in Helmstedt Bernd Roling Offenheit und Abgrenzung im Mathematikerkreis um Leibniz. Die Auseinandersetzungen mit Clüver und Nieuwentijt Charlotte Wahl Johann Christoph Götz (1688-1733). Ein Nürnberger Arzt, seine Patienten, das gelehrte Publikum und die Sprache der Wissenschaft Kay Peter Jankrift Ausgrenzung und Attraktivität. Kataloge seltener und gefährlicher Bücher als doppelter Wertmaßstab Michael Multhammer Literarische Repräsentationen intellektueller Milieus in China im 18. Jahrhundert. Die"Gelehrten" des Romans Rulin waishi Mareen Anders Die Schuld als Ausschluss. Kommunikation über Wissenschaftlichkeit in Elogen auf Ehrenmitglieder der Berliner Akademie (1744-1760) Anna Echterhölter Geheimnis und Unendlichkeit bei Cureau de la Chambre und Condorcet Laurens Schlicht Johann Christoph Gatterer und die Grenzen historiographischer Wissenschaftlichkeit im 18. Jahrhundert Martin Gierl Die symbolischen Grenzen der Gelehrtenrepublik. Gelehrter Habitus und moralische Ökonomie des Wissens im 18. Jahrhundert Marian Füssel Samuel Simon Witte, Reiseberichte und wissenschaftliche Erklärungen von Persepolis und den Pyramiden um 1800 Marita Hübner Hirschfeld versus Fürst de Ligne. Konkurrierende Autorinszenierungen und Grenzziehungspraktiken um 1800 Urte Stobbe Agrarwissen und Volksaufklärung im langen 18. Jahrhundert. Was sehen historische Gewährsleute und was sehen ihre Historiker/innen? Verena Lehmbrock Gleichheit und Ungleichheit in den Wissenschaften. Debatten in der Académie royale des sciences 1720-1790 Caspar Hirschi Blasphemie und Wissenschaft. Statt eines Nachworts: Abgründe der Gelehrtenrepublik in der Frühen Neuzeit Martin Mulsow Autorinnen und Autoren

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