Das Ministerium für besondere Fälle (gebundenes Buch)

Das Ministerium für besondere Fälle

The Ministry of Special Cases

Roman

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Bibliographische Informationen
ISBN/EAN: 9783630872599
Sprache: Deutsch
Seiten: 445 S.
Fomat (h/b/t): 4 x 22 x 14.5 cm
Bindung: gebundenes Buch

Beschreibung

Kaddisch Poznan, Jude und Sohn einer Hure, hat es im Leben zu nichts Rechtem gebracht. Sein Sohn Pato verachtet ihn, und seine Frau Lillian verdient in einer Versicherungsagentur das Geld für die Familie. Eines Tages wird Kaddischs Sohn verhaftet, und binnen kürzester Zeit verliert sich Patos Spur in der anonymen Apparatur der argentinischen Militärdiktatur. Immer wieder werden Kaddisch und seine Frau im "Ministerium für besondere Fällea€oe vorstellig, doch niemand fühlt sich zuständig, niemand will ihnen weiterhelfen ... Mit sprühender Phantasie und überbordendem Witz erzählt Nathan Englander die Geschichte einer Familie und zugleich einer Nation. Sein Sinn für das Absurde, seine geniale Balance zwischen Verzweiflung und Hoffnung und sein tiefes Verständnis für den Menschen und seine Schwächen stellen ihn in die Tradition eines I.B. Singer und Philip Roth.

Leseprobe

Teil eins 1 Die Juden bestatten sich so, wie sie leben: Noch im Tod hocken sie aufeinander und nehmen sich gegenseitig den Platz weg. Die Grabsteine standen dicht an dicht, die Toten darunter lagen Ellbogen an Ellbogen und Kopf an Fuß. Kaddisch führte Pato auf der Seite des Wohltätigen Ich über buckligen Boden, zwischen schiefen Reihen hindurch. Um das Licht zu dämpfen, hielt er die Hand über das Auge der Taschenlampe. Seine Finger glühten orange, in den Zwischenräumen rot, während er mit der Faust über die Stirnseite eines Steins fuhr. Die beiden waren auf der Suche nach Hezzi Doppelklinges Grab, und es dauerte nicht lange, bis sie es fanden. Seine Grabstelle stieg steil an. Sein Stein neigte sich nach hinten. Es kam Kaddisch vor, als hätte der alte Knabe versucht, sich in die Freiheit zu wühlen. Außerdem sah es so aus, als hätte Doppelklinges Tochter, hätte sie nur noch einen Winter gewartet, Kaddisch Poznan überhaupt nicht anheuern müssen. In Marmor, hatte Kaddisch herausgefunden, meißelt man nicht, weil er hart, sondern weil er weich ist. So wie die übrigen Marmorsteine auf dem Friedhof der 'Gesellschaft des Wohltätigen Ich' hatte auch Hezzis Grabstein Krater und Risse, und die Buchstaben verblassten zunehmend. Die meisten anderen Steine waren aus Granit gehauen. Wurden sie nicht durch Witterung und Umweltverschmutzung in Mitleidenschaft gezogen, dann von den örtlichen Rowdys. Schon oft hatte Kaddisch Hakenkreuze weggeschrubbt und zerbrochene Steine wieder zusammengefügt. Er prüfte, wie stabil der Stein auf Doppelklinges Grab war. 'Als wenn man gegen einen losen Zahn schlägt', sagte Kaddisch. 'Ich weiß gar nicht, warum wir uns überhaupt damit abgeben - dauert nicht mehr lange, dann ist davon nichts mehr übrig.' Doch Kaddisch und Pato wussten ganz genau, warum sie sich damit abgaben. Sie begriffen sehr gut, warum die Familien sich jetzt mit solcher Dringlichkeit an sie wandten. Man schrieb das Jahr 1976 in Argentinien. Unsicherheit und drohendes Chaos bestimmten das Leben. Entführungen und Erpressungen waren in Buenos Aires schon lange an der Tagesordnung. Überall herrschte Terror, ständig wuchs die Zahl der Morde. Niemand wollte auffallen, weder Gojim noch Juden. Und die Juden hatten nahezu ausnahmslos das Gefühl, sich durch ihr Jüdischsein schon mehr als genug von den anderen zu unterscheiden. Kaddischs Kunden waren diejenigen, die etwas zu verlieren hatten: der angesehene, erfolgreiche Teil der jüdischen Gemeinschaft, dessen Familien keine so ehrenhafte Vergangenheit vorzuweisen hatten. In ruhigeren Zeiten hatte es gereicht, diese zu ignorieren und zu leugnen. Als der Letzte der Generation des Wohltätigen Ich verstummt war, als alle Grabstellen auf ihrer Seite belegt waren, hatten die Nachkommen dieser unanständigen Sippe eine ihrer Meinung nach anständige Frist verstreichen lassen und den Friedhof für immer dichtgemacht. Als er das Grab seiner Mutter besuchen wollte und das Tor verschlossen fand, bat Kaddisch die anderen Kinder des Wohltätigen Ich um den Schlüssel. Sie stritten jegliche Verstrickung ab. Sie waren überrascht, von der Existenz des Friedhofs zu erfahren. Und als Kaddisch sie darauf hinwies, dass ihre Eltern dort begraben lägen, erwiesen sie sich als genauso außerstande, sich an die Namen ihrer eigenen Eltern zu erinnern. So hart diese Haltung auch war, geboren wurde sie aus einer entsetzlichen Scham. Die Gesellschaft des Wohltätigen Ich war nicht nur in Buenos Aires ein Skandal, zu ihrer Glanzzeit in den zwanziger Jahren war sie für jeden argentinischen Juden eine Schande sondergleichen gewesen. Wer von ihren Verleumdern freute sich nicht, wenn seine Morgenzeitung ein gutes Bild von einem Alphonse in Handschellen brachte, von einem Kaftan-Mitglied bei einer polizeilichen Gegenüberstellung; wer hatte nicht das Gefühl, seine Schmähreden seien gerechtfertigt, wenn er die berühmten jüdischen Zuhälter von Bue ...