Warte, bis es dunkel ist (gebundenes Buch)

Warte, bis es dunkel ist

Eine Liebeserklärung ans Kino

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Bibliographische Informationen
ISBN/EAN: 9783896671943
Sprache: Deutsch
Seiten: 256 S.
Fomat (h/b/t): 2.5 x 22 x 14.5 cm
Bindung: gebundenes Buch

Beschreibung

"Das Kino ist keine Wunschmaschine, sondern vor allem eine Folterbank. So lange man jung ist, lässt es uns von all jenen Wünschen träumen, die wir uns erfüllen können, wenn wir erst mal alt genug sind. Kaum ist man erwachsen, schürt es die Sehnsucht nach einer Jugend, die wir so leider nie erlebt haben. Im Kino ist man entweder zu alt oder zu jung, zu reich oder zu arm - oder zu deutsch, um etwa amerikanisch zu sein oder französisch." So schreibt der Autor, ein begeisterter Kinobesucher seit seiner frühesten Jugend, über den verwirrenden Einfluss des Films auf unser Leben. Was stellen wir eigentlich mit all den Geschichten an, denen wir im Laufe des Lebens im Kino begegnen - und vor allem: Was stellen sie mit uns an? Wie intensiv schaut man sich Filme an, um dort praktische Anleitungen zu finden, wie man sich zu kleiden und zu frisieren hat, wie man sich bewegen soll. Immer gab es Augenblicke, die dem identifikationssüchtigen Zuschauer zeigten, dass er so sein wollte wie die da oben: dieselben Cowboystiefel wie Clint Eastwood, dieselbe Lederjacke wie Tom Cruise, dasselbe Auto wie James Bond, zumindest aber den Wodka Martini, geschüttelt, nicht gerührt. In Filmen haben wir die Frauen geliebt, denen wir nie begegnet sind, haben Drogen genommen, mit denen wir in Wirklichkeit nie in Berührung gekommen sind. Wir haben das Kino für unser Leben gehalten und aus dem Alltag einen Film gemacht. Der Autor zeigt, wie wunderbar das immer und immer wieder geschieht.

Autorenportrait

Michael Althen, 1962 in München geboren, lange Jahre Filmkritiker der "Süddeutschen Zeitung", dann Redakteur bei der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Bücher über Dean Martin, Robert Mitchum und Rock Hudson. Sein Filmessay "Das Kino bittet zu Tisch" wurde mit einem Grimme-Preis ausgezeichnet. Ebenso seine erste Zusammenarbeit mit Dominik Graf: "Das Wispern im Berg der Dinge". Gemeinsam drehten die beiden "München - Geheimnisse einer Stadt", der für den Deutschen Fernsehpreis nominiert war. 2002 erschien bei Blessing "Warte, bis es dunkel wird - Eine Liebeserklärung ans Kino". 2008 feierte auf der Berlinale seine Dokumentation "Auge und Auge - Eine deutsche Filmgeschichte" Premiere. Michael Althen starb am 12. Mai 2011 in Berlin.

Leseprobe

Die Sache mit dem Schwein »Geh nicht so nah dran«, haben die Eltern früher gesagt, »du verdirbst dir die Augen!« Natürlich hat man sich nie daran gehalten und rückte so dicht wie möglich vor den Fernseher. Aber die Mahnung flößte einem doch irgendwie Respekt ein vor dem Flimmerkasten und seinen Bildern. Wie ein unsichtbarer Strahlenkranz legte sich die elterliche Warnung um das Gerät, und es entstand der Eindruck, dass diese Bilder irgendwie gefährlich, giftig, schädlich seien. Also interessant, spannend, aufregend. Die Gesundheit war dabei offenbar auf eine Art bedroht, die nicht sofort spürbar, sondern schleichend und deshalb umso unheimlicher war. So wie beim Tanken, wenn man sich über die Benzindämpfe beugt, um den betäubenden Geruch einzuatmen, der die Luft so verheißungsvoll flirren lässt. Im Grunde nähern wir uns Filmbildern in derselben Hoffnung, als seien sie eine Art offener Tankdeckel zu einer anderen Welt, der Dämpfe entsteigen, an denen wir uns berauschen können. Seither sitzen wir jedenfalls auch im Kino immer so nah wie möglich an der Leinwand - um uns die Augen so gründlich wie möglich zu verderben. Mittlerweile sind wir wahrscheinlich vollständig verdorben, aber das macht nichts, weil wir im Kino ein zweites Leben gefunden haben, das viel besser ist als das unsere und ihm doch aufs Haar gleicht. Darin liegt die doppelte Natur des Kinos: dass es stets Auskunft gibt über das, was ist, und das, was möglich wäre, darüber, wer wir sind und wer wir gerne wären. Noch die abgelegensten Phantasien, aber auch die am nächsten liegenden Einfälle erzählen etwas darüber, wie die Welt zu einem bestimmten Zeitpunkt beschaffen war und wonach sie sich sehnte. Wie wir uns gefühlt und wovon wir geträumt haben. Wie die Autos aussahen und wie die Telefonzellen. Was man getragen und wie man sich frisiert hat. Wie man gewohnt und worüber man geredet hat. Und wenn wir für einen Moment die Augen schließen und uns dem Strom der Bilder überlassen, dann können wir uns in all dem wieder erkennen. Dann wissen wir, woher wir kommen, und vielleicht auch, wohin wir gehen. All das wurde dem Kino nicht unbedingt an der Wiege gesungen, und wer weiß schon, was noch alles daraus werden wird. Wenn wir hundert Jahre zurückblicken und uns mit Blick auf die Veränderungen fragen, wie das Kino sich in den nächsten hundert Jahren entwickeln wird, dann spricht wenig für die Annahme, dass das dann noch irgendetwas mit dem, was wir heute als Kino bezeichnen, zu tun hat. Aber für den Moment können wir unseren Augen und Ohren noch trauen und dem, was das Kino zu erzählen hat. Und das ist nicht wenig. Nehmen wir mal den kleinsten gemeinsamen Nenner, nehmen wir mal Chaplin. Eine Melone, ein Schnauzer, ein Stöckchen. Gesten und Grimassen, die schon das kleinste Kind versteht. Trauer oder Schüchternheit, Neugier oder Verliebtheit, ein festes Vokabular von Mimik und Gestik und Motorik. Eine Treppe und - zack! - ein Sturz. Das versteht doch wirklich jeder. Oder? Versteht man Chaplin wirklich überall? Verstehen wir etwa asiatische Komiker? Verstehen wir denn wirklich alles, was wir im Kino sehen? Vielleicht ist das nur so eine dumme Angewohnheit von uns, zu glauben, wir verstünden alles. Und in Wirklichkeit verstehen wir genauso wenig, wie wenn wir träumen. Kultur ist ein merkwürdiger Ausdruck für das, was das Kino und seine Technik mit der Welt angestellt haben. Es ist eigentlich eher eine Kolonisation, die da vonstatten gegangen ist. Das Kino hat den Menschen eine Sprache aufgedrängt, die sie auf Teufel komm raus lernen mussten. Eine Art Weltsprache, ein Esperanto der Augen. Die Leinwand zeigt also ein Gesicht, eine Wolke, einen Baum - und alle verstehen, was gemeint ist. Gesicht, Wolke, Baum. Es ist deshalb nicht schwierig, sich vorzustellen, warum diese Sprache von mehr Leuten verstanden wird als eine andere, die nur aus Worten besteht. Viel schwieriger wäre es, sich vorzustellen, dass irgendwer diese Sprache nicht verstehen könnte. Es gibt eine Anekd