Morgen tanzt die ganze Welt (gebundenes Buch)

Morgen tanzt die ganze Welt

Die Jungen, die Alten, der Krieg

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Bibliographische Informationen
ISBN/EAN: 9783896671998
Sprache: Deutsch
Seiten: 224 S.
Fomat (h/b/t): 2.3 x 22 x 14 cm
Bindung: gebundenes Buch

Beschreibung

Am Anfang seiner Recherche fühlt es sich für den Autor an wie eine Reise in ein fremdes Land. Als ob da noch ein zweites Deutschland existiere, das auf den ersten Blick nichts mit der Gesellschaft von heute zu tun hat, ein Land, in dem von Ostfronten, von Fahnenjunkern und Pimpfen die Rede ist. Der 28-jährige Christoph Amend hat sich aufgemacht, die Großväter der Bundesrepublik zu treffen: einen früheren Bundespräsidenten, einen renommierten Hitler-Biografen, mehrere Politiker, Kultur- und Mediengrößen. Ihnen allen ist gemeinsam: Sie waren Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Und sie alle erlebten in ihrer Jugend eine Zeitenwende, wie sie auch Amends Generation jetzt gerade durchmachen muss. Die goldenen Neunzigerjahre sind vorbei, viele sind Opfer der Wirtschaftskrise geworden, und alle fragen sich, was die Zukunft bringen wird. So ist dieses Buch ein doppeltes Generationsporträt: Enkel und Großväter treffen aufeinander und reden über ihre Hoffnungen, Enttäuschungen und Ängste, die einen am Anfang, die anderen am Ende ihres Lebens.

Autorenportrait

Christoph Amend, 1974 in Gießen geboren, leitet die Sonntagsbeilage des "Tagesspiegela€oe in Berlin. Mit 22 Jahren trat er in die Redaktion des Kultmagazins "Jetzta€oe der "Süddeutschen Zeitunga€oe ein, für die er bis 1999 als stellvertretender Redaktionsleiter ar

Leseprobe

Warum ich mich mitten im Chaos der Gegenwart auf eine merkwürdige Reise in Deutschlands Vergangenheit begebe Der Krieg ist erst vor ein paar Jahren in mein Leben getreten. Ich hatte früher schon einmal Rambo gesehen, Good Morning, Vietnam und Full Metal Jacket, und ich hatte Erich Maria Remarques Roman Im Westen nichts Neues und Die Nackten und die Toten von Norman Mailer gelesen, aber das hier war anders. Das war kein Fernsehen, kein Kino, kein Buch. Das war das Leben meines Opas. Er kam gerade aus dem Krankenhaus und hatte eine schwere Operation hinter sich, Krebs. Ich war zu Besuch, da sagte er: 'Komm, wir beide gehen mal spazieren.' Wir nahmen unsere Jacken, Opa seine Mütze, und schlenderten durch die kleine schwäbische Stadt, in der meine Großeltern wohnten. Schon früher sind Opa und ich immer wieder zusammen raus, um Zito auszuführen, seinen Cockerspaniel. Er war vor kurzem gestorben.'Christoph', sagte er, 'du weißt, wie sehr ich dich mag.' Das ging ja gut los. 'Und du weißt auch, dass ich vielleicht nicht mehr lange zu leben habe.' Wir kamen an einem Teich in einer Wohnanlage vorbei. 'Ich will dir etwas erzählen, das nur uns beide etwas angeht.' Ich versuchte, mich auf jeden Schritt zu konzentrieren. Etwas, das nur uns beide angeht? 'Ich habe sehr, sehr lange nicht darüber gesprochen', fuhr Opa fort, 'aber ich möchte, dass du weißt, wie es im Krieg war.'Wie es im Krieg war.Das ist einer dieser Sätze, die man wie in Trance hört, die nachhallen wie: 'Ich glaube, wir sollten uns trennen.' Oder wie: 'Leider eine Fünf, mein Lieber.'Es wurde ein langer Spaziergang, und als wir zurückkamen, wirkte Opa erleichtert. Ich wunderte mich, denn er hatte mir keine spektakulären Geheimnisse anvertraut, nur harmlose Geschichten vom Abenteuer an der Front und von der Heimkehr ins zerstörte Deutschland von 1945.An diesem Tag dachte ich zum ersten Mal darüber nach, was es heißt, Soldat gewesen zu sein und getötet zu haben, was es bedeutet, in den Abgrund hinabgeblickt zu haben, in den Abgrund anderer und in den eigenen.Ich habe mit Opa nie wieder über dieses Thema gesprochen; er starb im Sommer 2001 nach langer Krankheit. Aber ich werde das leichte Zittern in seiner Stimme nicht vergessen, als er von seinen Einsätzen in Italien berichtete. Es war ihm wichtig, er wollte kurz vor seinem Tod von den Jahren erzählen, die sein ganzes Leben geprägt hatten. Er hatte nie darüber gesprochen. Doch dann brach es auf einmal aus ihm heraus. Warum erst jetzt? Ich traf wieder auf den Krieg, als ich einige Jahre später in München als Redakteur bei jetzt arbeitete, dem Jugendmagazin der Süddeutschen Zeitung. Eines Tages rief mich Alexander Kluge an und fragte, ob er mich zusammen mit einem meiner Kollegen zu einem Interview einladen dürfe, er wolle sich mit uns über die Sprache der heutigen Jugend unterhalten. Alexander Kluges Interviews laufen nachts auf RTL oder Sat.1. Ich sagte zu.Ein paar Wochen später sitzen wir in Kluges Studio, das er in einer Schwabinger Altbauwohnung eingerichtet hat. Wir reden über Jugendsprache und über die Vorstellungen und Wünsche junger Leser. Nach einer Stunde sagt er: 'So, das war's, vielen Dank. Ich würde gerne noch ein paar andere Fragen stellen, zu einem Thema, das mich persönlich sehr interessiert.' Die Kamera läuft weiter. Er sieht mich direkt an und fährt fort: 'Wissen Sie eigentlich, was Ihr Großvater im Krieg gemacht hat?'Mir wird ein wenig heiß, und ich werde rot. 'Ja', stottere ich los, 'also, ich glaube, äh, er war in Italien und in Frankreich, aber wann, ja, wann? Ich fürchte, viel mehr kann ich gar nicht sagen.' Ich fühle mich wie damals in der Schule: 'Amend, geh mal an die Tafel und rechne uns das vor.'Ich sehe in Alexander Kluges fragendes Gesicht und versuche es ein zweites Mal: 'Mein Opa hat mir mal von seiner Flucht 1945 erzählt, quer durchs Land, er ist also quas ...