Die Tigerfrau (gebundenes Buch)

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Bibliographische Informationen
ISBN/EAN: 9783896673831
Sprache: Deutsch
Seiten: 431 S.
Fomat (h/b/t): 4 x 22 x 14.7 cm
Bindung: gebundenes Buch

Autorenportrait

Christophe Ono-dit-Biot, geboren 1975 in der Normandie (auf die auch der Name verweist), lebt in Le Havre und ist politischer Chefredakteur der Wochenzeitschrift »Le Point« . Er schrieb einen Roman über die Mönche auf dem Berg Athos und einen Essayband über Birma.

Leseprobe

Heutzutage ist das Paradies mit der Kreditkarte erreichbar. Vielleicht ist es deswegen nicht das Paradies. Alles begann mit den Ameisen. Einer verdammten Kolonne von Ameisen, die im Sturm den Teakholzpfeiler eines Bungalows in Thailand nahmen. Scharenweise, Ameisen des Typs Wanderameise, französisch auch Legionärsameise, und gerade diese Bezeichnung machte uns am meisten Angst. Dabei war der Blick von der winzigen Terrasse aus phantastisch. Die Wellen erstarben auf dem weißen Strand in einem letzten zischenden Kuss. Grundsätzlich das Paradies. Abgesehen von dieser Ameisenkolonne. "Wann hört das endlich auf, Casar?" Sie sagte das unter Tränen. Tränen der Wut, die meine Sandalen 1,69 Meter unter ihren Tränendrüsen überschwemmten. Beach Paradise Guesthouse, "Strandparadies", nannte es sich. Oh, nicht der Name hatte mich verführt, wir hatten schon Silver Swan Hotels voller Kakerlaken dick wie Salamis erlebt und Dream Cottages, in denen das Moskitonetz, nicht größer als ein Kescher, uns zur Landepiste von Moskitos mit dem Durchmesser von Spritzen gemacht hatte. Nein, es war nicht der Name gewesen, sondern der Ausblick. Doch anscheinend hatte mich mein Urteilsvermögen im Stich gelassen. Sie weinte, und die Sonne tauchte den Horizont in ein oranges Licht. Sie hob den Blick: "Casar, ich liebe dich nicht mehr." So endete es. Und so begann es. Das Flugzeug gewinnt an Höhe. Meine Eingeweide tun mir weh, und das liegt nicht am Druckausgleich. Ich schließe die Augen. Das hilft mir, den Film der letzten Tage noch einmal abzuspulen. Mich zu trösten. Mir einzureden, dass es richtig ist, dass ich hier in zehntausend Metern Höhe in einem Meer zerfetzter klebriger Wolken schwebe. Sie war auf "Abenteuer" aus. Wollte ein Asienbad und zugleich ein Verjüngungsbad nehmen. An der Uni hatte sie keine Zeit für Rucksacktourismus gehabt, also wollte sie den jetzt nachholen. Ich hatte nichts dagegen, im Gegenteil. Ich hatte sogar ein Land im Kopf, von dem ich schon lange träumte, dessen Namen ich aber nicht aussprach, als es darum ging, ein Reiseziel zu wählen. Aus Furcht vor der Hölle, die es sein könnte. Eine "schöne Hölle", wie Blanchart sagte, in der ich mir uns beide aber nicht so richtig vorstellen konnte. Heute weiß ich, warum ich damals nicht darüber gesprochen habe: ein Nat hatte mich daran gehindert. Er hatte gewusst, dass ich allein in dieses Land reisen musste. Er wartete auf mich. Wir hatten Laos gewählt. Zen-Buddhismus in den Tempeln von Luang Prabang, poetische Spaziergänge in den Holzschnitt-Landschaften von Vang Vieng, Pirogen auf dem Mekong und Begegnung mit den Süßwasserdelphinen; so stand es auf dem Programm. Nur dass es die ganze Zeit geregnet hatte, entgegen den Vorhersagen der Reiseführer, die für diese Jahreszeit "erfrischende Schauer am späten Nachmittag, >Mangoduschen< genannt" versprachen. Die Mangos waren wir. Nicht so saftig, aber nass bis auf die Knochen. Wir wurden niemals trocken, aber die ganze Zeit tüchtig geschrubbt. Von Busfahrten im beißenden Geruch der Körbe mit getrocknetem Fisch, die über unseren Köpfen hingen. Eines Tages bot uns ein Typ einen mysteriösen "cargo-bus" an. "So viel Platz, wie Sie wollen, Sie können sich sogar ausstrecken!" Hélène hatte vor Glück gelächelt. Endlich. Bei Einbruch der Nacht machten wir uns in einer romantischen Fahrradrikscha, die unter dem Sternenhimmel schwankte, auf den Weg. Auf dem Parkplatz ein Laster, dessen Ladefläche mit einer Plane abgedeckt war. "Yes, this is cargo-bus!", sagte der Fahrer, während die Einheimischen einstiegen. Ich machte Hélène ein Zeichen zu warten. Ich stieg auf das Trittbrett und warf einen Blick unter die Plane: Im Inneren, unter Matten aus Weidenruten, lagerten Fässer mit chemischen Substanzen. Genug, um uns in menschliche Fackeln zu verwandeln. Da weinte sie zum ersten Mal, und, ehrlich gesagt, ich konnte ihr nicht böse sein. Wir verzichteten auf dieses Asien und suchten die Sonne auf den thailändischen Inseln. Wir dachten sogar daran, es