Alles über die Welt (gebundenes Buch)

Alles über die Welt

Roman

18,95 €
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Bibliographische Informationen
ISBN/EAN: 9783896673862
Sprache: Deutsch
Seiten: 268 S., 15 s/w Illustr.
Fomat (h/b/t): 2.7 x 22 x 14 cm
Bindung: gebundenes Buch

Autorenportrait

Klaus Ungerer, Jahrgang 1969, aufgewachsen in Lübeck, ist seit 1998 Feuilleton-Autor der F.A.Z. Als Redakteur betreute er dort von 2001 bis 2003 die Seite Stil sowie die Münchner Seiten der F.A.S. Als Kolumnist schickte er bis 2004 seinen »Gruß aus dem Sprachlabor« und berichtet seitdem in »Nichts als die Wahrheit« über Fälle aus dem Kriminalgericht in Moabit. Er ist Mitgesellschafter der Agentur »glossendienst« und lebt mit Frau und Tochter in Berlin. »Alles über die Welt« ist sein erster Roman.

Leseprobe

Über die Welt zu schreiben, wie sie sich uns heute darstellt, ist eine ebenso leichte wie unlösbare Aufgabe. Leicht einerseits: Es gibt viel Wissenswertes zu berichten. Unlösbar: So viel sinnlose Zeit hat die Menschheit bislang vergeudet, hat Atlanten und Geschichtsbücher vollgedruckt und auswerfen lassen, hat die Erde geflutet mit Wissen, das bei näherer Betrachtung unnütz ist: Fürsten tauchen da immer auf, Völker und Nationen, unter Pomp und Getöse betreten sie die Bühne, die ihnen erst unermesslich zu sein scheint, stolz erobern sie die morschen Bretter - und sind doch schon wieder in den Graben gepoltert, ehe man ihrer so recht ansichtig geworden ist, ehe man sich ihre Gesichter, ihre Kostüme und Rangabzeichen so richtig einprägen konnte. Da kommen von der anderen Bühnenseite schon wieder neue Würdenträger, neue Bösewichter hereingepoltert und nehmen denselben Weg. Eines ist ihnen allen gemein: Nie waren sie so wichtig, wie es ihre Herolde verkünden wollten, stets verwehte ihre Bedeutung, verschwand ihr Werk und wurde von Giganten überrollt, die als stille, kleine Unternehmungen in Hinterzimmern begonnen hatten und die nie als Bedrohung erkannt worden waren, ehe es längst zu spät, ehe längst der Despot schon in der Schwebe über dem Graben war, noch zappelnd und strampelnd mit den kleinen Beinchen kurz - plumps. Und tschüss. Die Welt, wie sie sich uns heute darstellt, ist eine Geschichte, die von Politikern geschrieben worden ist, von ihren braven Vasallen hinausposaunt in die Wissbegierde ihrer Zeit; Napoleon, Galilei, Gagarin - helau, alaaf und tschüss! Echnaton, Hitler, Bush - plumps und goodbye. Welche Taten, welche Erkenntnisse wirklich von Wert gewesen sind, wird oft erst nach Jahrtausenden erkannt oder nie. Ein bescheidener Versuch, der Welt die ihr gemäße Ordnung zu finden, soll dieses Verzeichnis sein, das erst auf der Grundlage intensiver Erwägungen und Debatten ins Leben gerufen wird, und das, weitab von Perfektion oder Vollständigkeit, doch einen ersten Schritt zu tun unternimmt, auf den wir uns lange genug vorbereitet haben. Ist dies auch schwer, so ist aller Anfang leicht. Wo beginnen mit der Welt? Sortiert man sie alphabetisch, sortiert man sie geographisch - jeweils ist jene Insel ein guter Ort, die im gültigen Verzeichnis unter E2 läuft, die ganz oben rechts an der Welt hängt, und die auch am Anfang des Alphabets steht. Weil sie immer noch keinen Namen hat. Viele hat man ihr anzuhängen versucht über die Jahre, mal hieß sie Kotelny, dann Faddejevski und später Anjou, man hat es mit schlichten Zahlen versucht - 61 und 374 in konkurrierenden kartographischen Systemen -, es hat alles nichts genutzt. Alles ist abgeglitten von der Insel, kein Name wollte an ihr halten, kein Wort dem fest verschlossenen Volksmund entschlüpfen - dies ist ein guter Ort. Man weiß so gut wie nichts über ihn. Die Stürme der sogenannten Geschichte, sie tobten stets viel weiter unten, kaum kam mal das Periskop eines U-Boots vorbei oder eine versprengte Truppe, kaum einmal schleppten sich Nordpolforscher sterbend über sie hin. Sie blieb den Möwen, den Alken vorbehalten. Wer je das Glück hatte, diese Insel kennenzulernen, ist dennoch überrascht von ihr: In einem warmen Grün leuchten die Flechten und Moose, viel lebenskräftiger, als man sich das vorgestellt hat, belebend dringt frische Meerluft ein in die Lungen, keck hält man einen bloßen Fuß ins Wasser und staunt: Viel weniger kalt ist es hier, als man dachte, ein warmer Strom aus Süden sorgt dafür. Neugierig streckt man die Zunge aus dem Mund, Gischt spritzt drauf, etwas salzig. Einen vernünftigen Neoprenanzug vorausgesetzt, so denkt man, könnte man sich durchaus hier ins Wasser begeben, könnte man durchaus die wenigen Kilometer durchstoßen zum Festland, an einen Ort, der Tiksi heißt, und der weithin zu hören ist, weil das Land so weit ist, weil alljährlich das Akkordeonfestival grüßt. Und so steht man und sieht die Alke im Sinkflug, die Hose durchfeuchtet sich allmählich, und nimmt si