Freiwillig zu Diensten? (kartoniertes Buch)

Freiwillig zu Diensten?

Über die Ausbeutung von Ehrenamt und Gratisarbeit

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Bibliographische Informationen
ISBN/EAN: 9783939816188
Sprache: Deutsch
Seiten: 144 S.
Fomat (h/b/t): 1.2 x 21.2 x 13.6 cm
Auflage: 1. Auflage 2013
Altersempfehlung: 16-99 J.
Bindung: kartoniertes Buch

Beschreibung

23 Millionen Ehrenamtliche arbeiten in Deutschland in Kleiderkammern, in Kitas und in Schulen. Sie betreuen Kranke, sie sitzen an den Kassen von Theatern und Schwimmbädern, pflegen kommunales Grün und steuern den "Bürgerbus". Alles unbezahlt, alles fürs Gemeinwohl. Schön, wenn Menschen sich für andere engagieren. Es hilft auch den Helfenden, macht zufrieden, vermittelt neue Einsichten und Kontakte. Und verschleiert den Blick. Vor lauter Begeisterung über "bürgerschaftliches Engagement" sehen wir nicht mehr, woher die vielen Armen im Lande kommen. Wir nehmen den Zusammenhang nicht wahr zwischen kaputt gesparten Kommunen, Einschnitten im sozialen Netz, der Konzentration des Reichtums bei wenigen und den Dauer-Appellen an uns alle, bitte mit auszuhelfen. Die Freiwilligen halten mit ihrer Gratisarbeit nicht nur den Betrieb in Pflegeheimen, Kitas und Schwimmbädern aufrecht. Sie tragen auch dazu bei, den Niedriglohn-Sektor auszudehnen und die Arbeit von Hauptamtlichen zu dequalifizieren. Sie stopfen Löcher, die politische Entscheidungen ins Sozialwesen, die Bildung und die Infrastruktur gerissen haben. Und werden von den Politikern am "Ehrenamts-Tag" dafür belobigt. Warum noch für Arbeit bezahlen, wenn Ehrenamtliche sie umsonst oder für ein Taschengeld verrichten? Die Autorin Claudia Pinl zerstört das hehre Bild des "bürgerschaftlichen Engagements", wie es uns von Professoren, Politikern und Ehrenamts-Profis präsentiert wird. Die Autorin appelliert an die Freiwilligen, nicht länger den Ausputzer für politische Fehlentscheidungen zu machen. Und an die Politik, öffentliche Aufgaben im Sozialen, in der Bildung und im Kommunalen wieder öffentlich finanzierbar zu machen.

Autorenportrait

Claudia Pinl, geboren 1941, war Rundfunk-Journalistin, Bonner Korrespondentin der "taz" und Fraktionsmitarbeiterin der Grünen im Bundestag. Heute lebt und arbeitet sie als Publizistin und Autorin in Köln. Sie hat mehrere Bücher u. a. zu den Themen Frauen und Arbeit, zum Geschlechterverhältnis und zu neokonservativen Entwicklungen in der Gesellschaft verfasst.

Leseprobe

Ein strahlender September-Sonntag in Köln. Auf der Bühne am Heumarkt zeichnet Oberbürgermeister Jürgen Roters die Preisträger des Kölner Ehrenamtstags 2012 aus. Zum Beispiel die Karnevalsgesellschaft Urbacher Räuber, die 100 000 Euro für ein Hospiz gesammelt hat. Aber es geht nicht nur um Geld. "Im Hospiz bei uns in Urbach waren vor kurzem einige Waschbecken undicht", berichtet ein "Räuber" der Lokalzeitung, "da haben wir eine E-Mail rumgeschickt, und innerhalb weniger Stunden haben sich befreundete Klempner gefunden, die den Schaden schnell und gratis repariert haben". Es geht auch nicht nur ums Hospiz. Die Karnevalisten haben bereits ein weiteres Ziel angepeilt; sie wollen 45 000 Euro für einen Spielplatz sammeln und spenden. "Die Räuber betreiben gelebte Sozialarbeit", freut sich OB Roters laut Lokalpresse. Rund um die Bühne haben Initiativen und Verbände Stände aufgebaut. Ich komme mit einem Ehrenamtlichen ins Gespräch, der sich bei Lesementor Köln engagiert. Diese Initiative schult und vermittelt Lesepatinnen und Lesepaten, um, wie es auf der Webseite heißt, "die Lese- und Sprachkompetenz von Kindern und Jugendlichen zu fördern". Aber ist es nicht die Aufgabe der Schulen, Kindern das Lesen beizubringen? Ja, aber, meint mein Gesprächspartner, selbst pensionierter Lehrer, die können das doch heute gar nicht mehr leisten, mit dreißig Kindern in der Klasse, von denen kaum eines mit deutscher Muttersprache aufwächst. Lesementor bietet eine "Eins-zu-Eins-Begleitung" an, das heißt, eine Lesepatin oder ein Lesepate wendet sich einem Kind zu, liest gemeinsam mit ihm und spricht mit ihm über das Gelesene. Am Ehrenamtstag, der bundesweit begangen wird, geht es auch um die Hochschulbildung. Im Jahr 2012 warb an diesem Tag das Bundesministerium für Bildung und Forschung in den Tageszeitungen mit Großanzeigen: "Das Deutschlandstipendium - fördern Sie mit! Die eine Hälfte vom Bund und die andere von Ihnen: Mit nur 150 Euro monatlich fördern auch Sie ein junges Talent in Deutschland. Viele machen bereits mit und engagieren sich für bestens ausgebildeten Nachwuchs. Eine lohnende Zukunftsinvestition - seien Sie dabei!" Auf der Bühne beglückwünscht der Oberbürgermeister inzwischen Ute Liebetrau, die für ihr Engagement in einem Stadtteil mit armer Bevölkerung geehrt wird. Dort assistiert sie bei Kindergottesdiensten und leitet Spielgruppen und Ferienaktivitäten für Kinder und Jugendliche. Frau Liebetrau opfert dafür jedes Jahr ihren Urlaub. Bestimmt ist sie bei den Kindern beliebt, und bestimmt hat sie selbst große Freude an ihrem Engagement. Wer wagt es schon, dieses freiwillige Engagement zu hinterfragen? Zum Beispiel mit dem Einwand, dass Kinder- und Jugendarbeit, die Errichtung und Pflege von Spielplätzen oder die schulische und universitäre Bildung Gemeinschaftsaufgaben sind, die beruflicher Kompetenz und Stetigkeit bedürfen, statt sie der wohlwollenden, freiwilligen Arbeit Ehrenamtlicher oder dem Spendenwillen der Bürger zu überlassen. Es stimmt, es gibt eine große Bereitschaft zum Engagment in der Bevölkerung. Und dass Menschen, die sich für andere einsetzen, viel zurückbekommen, wird niemand bestreiten. Ärgerlich aber ist die Selbstverständlichkeit, mit der von allen möglichen Seiten, nicht zuletzt von den politisch Verantwortlichen, unser aller Selbstlosigkeit eingefordert wird. "Zivilgesellschaft", "Engagement", "Bürgersinn", "Freiwilligenarbeit" sind in Deutschland hehre Begriffe, die auf ihre politische Bedeutung hin abzuklopfen so gut wie tabu ist. Man kommt sich schon sonderbar vor - ein bisschen von gestern, ein bisschen asozial - wenn man daran erinnert, dass Bildung, Kultur, kommunale Infrastruktur und soziale Sicherung öffentliche Aufgaben sind, die mit Steuergeldern finanziert werden müssen, unter anderem deshalb, um Arbeitsplätze zu erhalten. Ja, das war einmal, wird eingewendet. Inzwischen ist der Sozialstaat klamm, sind die Kulturkassen leer und die Kommunen überschuldet. Und die Aufgaben und Bedürfnisse sind trot