Schneehase (kartoniertes Buch)

Schneehase

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Bibliographische Informationen
ISBN/EAN: 9783630620855
Sprache: Deutsch
Seiten: 286 S.
Fomat (h/b/t): 2.3 x 18.9 x 11.9 cm
Bindung: kartoniertes Buch

Autorenportrait

Anja Frisch, geboren 1976, studierte in Frankfurt am Main und Leipzig. Sie erhielt mehrere Stipendien und war Teilnehmerin am Klagenfurter Literaturkurs 2002. Sie veröffentlichte in mehreren Literaturzeitschriften. "Schneehase" ist ihre erste Buchveröffen

Leseprobe

Vor sieben Tagen haben Karlos Nieren am Nachmittag aufgehört, das zu tun, was sie immer taten. Vor sieben Tagen hat Brigitte am frühen Morgen telefonisch ein Zimmer in einer Pension reserviert; sie hat sich angezogen, ein zweites Wollkleid, zwei Strumpfhosen, einen Pullover, und was sie sonst noch brauchte, hat einen Pyjama und den Waschbeutel in den Koffer gepackt, hat die Tür hinter sich zweimal zugeschlossen und die Briefe, die an sie gerichtet waren, in den nächsten Briefkasten geworfen: Adressat verzogen. Ich habe ihr angeboten, bei mir zu wohnen. Brigitte hat abgelehnt: Die ganze Sache ist nicht gut für dich. Am Abend rief Karlo sie aus dem Krankenhaus an: Meine Nieren wollen nichts mehr mit mir zu tun haben. So wie du. Als ich sie mit dem Auto abholte, stand sie vor der Pension neben dem Koffer. Der Schnee in ihrem Haar und auf ihrem Mantel funkelte unter der Straßenbeleuchtung. Sie klopfte im Bordstein die Schuhe sauber und stieg ein. Wir fragten den Pförtner, fuhren mit dem Aufzug, öffneten Glastüren und liefen lange Flure entlang; ich hielt Brigittes Arm und Brigitte versteckte ihre Hände in den Manteltaschen. Das Bett war Karlo viel zu groß, das Nachthemd fürchterlich weiß und auch viel zu groß. Das kommt davon, dass ich nichts mehr trinken darf. Ich schrumpfe. Wie Backobst. Karlo streckte seine Hand aus in unbestimmte Richtung; seine Augen waren klein und rotgeädert und die Lippen hell und trocken. Brigitte nahm ihre Hand aus der Tasche und borgte sie ihm eine Weile. Du bist doch das Kind, sagte sie, als wir wieder in ihrer Wohnung waren. Sie packte den Koffer aus und begann das Bett abzuziehen: Du musst glücklich sein, dass deine Eltern sich nicht trennen. Ich bin aber ein großes Kind, und große Kinder wissen einfach mehr. Papperlapapp, rief Brigitte; sie schüttelte den Kopf, dann schüttelte sie das Kissen. Ich half ihr. Ich mach das schon, sagte ich und sie ging ins Bad und ließ Badewasser ein. Es ist jetzt auch egal, rief sie über den Flur. Wenn du meinst, rief ich zurück. Ich pflückte die fremden Haare von der Matratze und öffnete das Fenster. Ja, schrie Brigitte: Das meine ich. Das ist doch jetzt egal, hatte Brigitte in Richtung Meer geschrien. Ihr Gesicht war nass gewesen, vielleicht von der Adria, in der sie eben noch geschwommen war, aber ganz bestimmt von dem Rotz, der ihr ungestraft aus der Nase lief. Sie hatte sich an mich geklammert, wie man sich nachts an sein Kissen klammert, wenn man schlecht träumt. An Brigittes Hals und Haaren vorbei konnte ich beobachten, wie Sanitäter Karlo auf die Trage legten und in den Ambulanzwagen schoben. Karlos Badehose war rot gewesen, mit weißen Streifen an der Seite. Ich hatte vergessen, wie viele es waren. Mein Herz pumpte Blut in meinen Kopf. Immer mehr. Waren es zwei Streifen, oder drei, auf jeder Seite? Brigitte hielt mich fest; ich konnte nicht hinlaufen und nachschauen. Signora, sagte ein Mann, er war vom Hotel und packte Brigitte am Arm. Ein zweiter Mann trat zu uns; er konnte ein bisschen Deutsch und dolmetschte: Karlo wäre in guten Händen, das nächste Krankenhaus nicht weit und Brigitte müsste jetzt mitfahren. Brigitte zog die Nase hoch und nahm meine Hand. I bambini no. Der erste Mann schüttelte bedauernd den Kopf. Aber, sagte Brigitte und sah mich ratlos an. Ich bin fast dreizehn, sagte ich: Tredici. Der erste Mann blieb dabei: I bambini no. Jetzt drängte auch der zweite Mann zur Eile. Ich spürte, wie jemand hinter mich trat. Ich pass auf sie auf, hörte ich Bibianes Stimme leise sagen. Brigitte starrte ein Loch in meine Hand, die sie noch immer festhielt. Avanti, schrie ein Sanitäter. Tredici, wiederholte ich. Der Ambulanzwagen fuhr los. Mein Gesicht war heiß von der Umarmung und klebte. Ich wischte mir Brigittes Rotz von der Wange und drehte mich um. Bibianes Körper versperrte mir die Sicht auf das Meer. Das Meer hätte ich jetzt gerne gesehen. Ich sah auf das rosa Fr ...